Im August vergangenen Jahres kündigte Rockstar Games an, dass sie ihr Western-Epos Red Dead Redemption auf der Nintendo Switch veröffentlichen. Dies ist seit dem 17. August digital im Nintendo eShop erhältlich und nimmt etwa 11,4 GB Speicherplatz an. Auch Fans von Retail-Versionen kommen seit Oktober auf ihre Kosten und können sich diesen Meilenstein der Videospielgeschichte ins Regal stellen (→ zu Amazon).
Mit ‚Es war einmal…‘ beginnen bekannterweise die schönsten und erfolgreichsten Märchen. Viele davon
bleiben den Zuhörern auch lange im Gedächtnis, denn sie sind ungemein kreativ, fantastisch, teils aber auch recht brutal. Das neueste Remaster der Open-World Schwergewicht-Schmiede Rockstar Games könnte genauso beginnen, denn wir reisen gute 100 Jahre zurück ins Jahr 1911, wo es in den ländlichsten Strichen der USA ebenfalls märchenhaft und kompromisslos zur Sache geht. Da die Erstveröffentlichung
bereits gute 13 Jahre auf dem Buckel hat, dürfte ein kurzer Story-Abriss des Spiels wohl keinen mehr großartig spoilern. Schließlich wird jeder, der es mit Western in Film und Spiel wichtig hält, Red Dead Redemption bereits durchgespielt haben.
Red Dead Redemption: Auf in den Wilden Westen
Unser Held und spielbarer Protagonist heißt John Marston. Okay, ‚Held‘ ist vielleicht etwas hochgegriffen, schließlich zeigt er sich für viele Ableben, Überfälle und sonstige Schwerstgaunereien verantwortlich. Der lange Arm des Gesetzes konnte ihn bei seinen zahllosen Gaunereien nie greifen, aber Karma regelt immer… in diesem seinem Falle durch eine Hinterlist ehemaliger Weggefährten, die ihn schutzlos und schwer angeschossen in der staubigen Wüstenblumenlandschaft des Wilden Westens zurücklassen. Da sich dieser Vorfall aber bereits im Intro des Spiels ereignet, würde ein derart schnelles Ableben der
Hauptfigur es wohl als die schnellste Open-World-Geschichte aller Zeiten ins Guinness Buch der Rekorde schaffen.
Ein kurzer Check: Red Dead Redemption steht nicht drin. Durchatmen, die wilde Geschichte geht also erst los. Zu viel soll an dieser Stelle nicht verraten werden, da sich die Story trotz Plakativität und größtenteils
auch klischeehafter Vorhersehbarkeiten durchaus lohnt und es immer wieder interessante kleinere Wendungen gibt, die man so auf den ersten Blick vielleicht nicht erwartet hätte. Grob gesagt geht es um Erpressung, Mord und Überfälle. Wild Wild West at its very very best!
Mehr als nur ein Grand Theft Auto in der Steppe?
Streng genommen: Nein, sondern die geneigte Spielerschaft bekommt viel, viel weniger. Logischerweise ist ein Vergleich zwischen Grand Theft Auto und Red Dead Redemption durchaus berechtigt und in vielerlei Hinsicht gibt es auch Parallelen und starke Ähnlichkeiten. Wäre ja auch merkwürdig, wenn man sich nicht am großen Vorbild orientieren und einige Stärken übernehmen würde. Aber oftmals wurde der damalige Standard von GTA IV nicht nur als Blaupause übernommen, sondern in allen Belangen verfeinert, verbessert und angepasst. In qualitativer Hinsicht gibt es also mehr. Die eingangs angesprochene Dezimierung findet sich in der Spielwelt. In GTA ist es durchaus Gang und Gäbe, sich nach wenigen Spielminuten hinters Steuer zu setzen, Passanten niederzumähen, sich zu betrinken und sich anschließend eine halsbrecherische Verfolgungsjagd mit der Polizei oder gar dem Militär zu liefern.
Eine derartige Action- und Aggressionsdichte werdet ihr bei Red Dead Redemption nicht finden. Und das ist auch gut so, denn schließlich ist der Wilde Westen für Vieles bekannt; aber sicherlich nicht für seine Bevölkerungsdichte. Und Autos gab es auch noch nicht an jeder Ecke. Ihr müsst den Spaß mitunter also schon etwas „suchen“ und seid des Öfteren mehrere Minuten alleine auf eurem treuen Pferd unterwegs, bevor überhaupt etwas Aufreibendes am Horizont aufblitzt. Das alles steht für eine möglichst detailgetreue Umsetzung des Settings, was keinesfalls mit spielerischer Langeweile gleichzusetzen ist. Denn zu tun gibt es auch hier gewohnt rockstartypisch mehr als genug.
Ihr müsst nur mit geschärften Sinnen durch die Welt reiten, laufen oder sogar mit dem Zug fahren. Dank einer komfortablen Schnellreisefunktion halten sich langatmige Ausritte von einem Missionspunkt zum nächsten in angenehmen Grenzen. Man ertappt sich nicht selten dabei, den teils spannenden kleinen Geschichten zwischen John und seinen Mitstreitern beim Ausritt zu lauschen.
Immer wieder trefft ihr auch auf NPCs, die eure Hilfe bei den unterschiedlichsten Aktionen benötigen. Auch fragwürdiger Herkunft, denn ihr entscheidet an vielen Stellen selbst, wie ihr vorgehen wollt. Dabei verändert sich auch euer moralischer Kompass, wobei wir ausgerechnet an einem der scheinbar interessantesten Punkte des Spiels gleichzeitig auch zu einem der größten Schwachpunkte kommen. Besser gesagt an das Auslassen gameplaytechnischer Möglichkeiten.
Schatten im Wind
Während John Marston also gedankenverloren auf seinem Ross die verschiedenen Missionspunkte abgrast oder sich abseits dieser ein paar Dollar dazuverdienen will, kann frei entschieden werden, wie das Ganze vonstattengehen soll. Möchtet ihr euch als knallharter, mordender Gesetzloser durch die Saloons ballern und den ortseigenen Sheriff provozieren und herausfordern? Eure Mitmenschen sollen vor Angst erzittern, wenn sie auch nur eure blutgetränkten Stiefel zehn Meilen gegen den Wind riechen? Könnt ihr!
Stellt Euch nur darauf ein, dass ein solches Verhalten nicht gerade mit Ruhm und Ehre belohnt wird. Also doch lieber ein Leben als herzensguter Schwiegersohn führen? Besser ist das, zumal dadurch auch die Preise in den verschiedenen Krämerläden für euch gesenkt werden, als Belohnung sozusagen.
Das mag sich erstmal nach einer spannenden Entscheidungsfrage anhören, je nachdem, wie ihr eure Laufbahn gestalten wollt. Doch hierbei wurde vollkommen ausgeblendet, euer moralisches Verhalten auch im Handlungsstrang zu verankern. Was wäre es doch für ein interessanter Ansatz gewesen, die Story zweigleisig verfolgen zu können? Euch zwielichtigen Banden anzuschließen, Banken auszurauben und Züge zu überfallen? Also wenn schon, denn schon! Dieser Ansatz wirkt nicht richtig durchdacht und halbherzig. Vor allem, da sich John nach den Storyanfängen seines dreckigen, ehrlosen Lebens ja entledigen und hinter sich lassen will. Die Idee war da, lässt aber komplett an spielerischer Konsequenz vermissen. Manch einer mag nun einwerfen „Aber die Umwelt reagiert doch auf mich!“, was per se auch stimmt. Jedoch so oberflächlich und aufgesetzt, dass es dem ansonsten immens hohen spielerischen Standard zu keiner Zeit gerecht wird.
Red Dead Redemption: Richtiger Knaller oder nasses Dynamit?
Apropos hoher Standard: Der wurde ja bei der GTA Trilogy Umsetzung komplett außer Acht gelassen; wie sieht es also bei Red Dead Redemption aus? Zweifel für den umfangreichen Westernshooter sind durchaus angebracht. Zumindest der erneut sehr hohe Preis von knapp 50 € für ein im Kern 13 Jahre altes Spiel (trotz der inkludierten „Undead Nightmare“ Episode) schreckt potentielle Käufer ab. Und das völlig zurecht. Aber Gott sei Dank gibt es im vorliegenden Fall keinen Reinfall, sondern eine mühevoll ausgearbeitete Umsetzung für Nintendos Hybriden.
Die technischen Unterschiede zu den anderen Konsolenports sind zwar weiterhin vorhanden (einige Texturen wirken auf der Switch recht matschig und
unschöne Treppenbildung in der Umgebungsgrafik ist leider auch keine Seltenheit), jedoch bewegen sich die Negativpunkte im Bereich des Erträglichen. Dafür wurden Clippingfehler ausgemerzt und auch Pop-Ups sind seltener oder fallen zumindest nicht mehr ganz so unschön auf wie noch im Original. Auch die Sorge um eine arg niedrige Framerate und daraus resultierenden heftigen Rucklern ist unbegründet. Die Switch-Version läuft zumeist stabil um die 30 fps. Aufatmen!
Steuerungstechnisch ist ebenfalls alles im grünen Bereich. Hin und wieder beschleicht einen das Gefühl, es fehlen ein paar Knöpfe und die Joy-Con oder Pro Controller wirken überladen, aber das war bereits auf der PlayStation 3 und Xbox 360 der Fall. Dank eines komfortablen Waffenrads und des Dead Eye-Features (das Verlangsamen der Zeit und damit präzises Anvisieren mehrerer Gegner) geht (fast) alles gut und recht schnell in Fleisch und Blut über.
Viel zu tun in der Prärie
Nach dem technisch insgesamt ordentlichen Eindruck und den ersten Missionen stellt sich die Frage: was hat das Spiel denn sonst noch so zu bieten? Einen Multiplayer schon mal nicht, denn der wurde ersatzlos gestrichen. Dafür aber tonnenweise Content im Hauptspiel und nochmal eine erfrischend neue Brise an Quests im mitgelieferten „Undead Nightmare“-Add On.
Auch die schon zum Standard gehörenden Nebenmissionen sorgen für allerlei Abwechslung. Mehr soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden, um die zahlreichen Überraschungsmomente nicht zu spoilern. Die nötige Prise Humor wird dabei durch die hervorragend vertonten Zwischensequenzen geliefert und überzeugt vollends mit glaubhaften, oftmals herrlich lakonischen Dialogen, Dialekten und tollen Animationen.
Fazit zu Red Dead Redemption
Pros:
- Große, realistische Spielwelt
- Viele Details auf dem zweiten Blick
- Spannende, durchdachte Story
- Zahlreiche Nebenaufgaben
- Minispiele können lange fesseln (Poker!)
- Immenser Umfang
- Toll geskriptete Zwischensequenzen
- Technisch gut umgesetzt
Cons:
- Hoher Preis (knapp 50 €)
- Multiplayer des Originals wurde komplett gestrichen
Wer bislang noch nichts von Rockstars Western-Epos mitbekommen hat, scheint die letzten Jahre unter einem Stein gelebt zu haben. Wer es jedoch bislang noch nicht gespielt hat, weil einem das Setting nicht zugesagt hat, kann das aber jetzt unterwegs in Bus und Bahn nachholen. Denn auch als Nicht-Fan des „Spiel mir das Lied vom Tod“-Genres wird man hier bestmöglich unterhalten. Nach der etwa 25–30-stündigen Hauptstory ist noch lange nicht Schluss.
Alleine auf dem Weg zum Ziel lenken einen die vielen Sidequests und teils arg skurrilen, toll geschriebenen Charaktere zum Erkunden der riesigen Spielwelt ein. Mit „Undead Nightmare“ ist auch das Add-On mit an Bord und erweitert die ohnehin üppige Skala nochmals um weitere, im Hauptspiel nicht vorhandene Facetten.
Üppig ist zweifelsohne leider auch der hohe Preis von fast 50 €. Für Wiederholungstäter sicherlich eher für Kopfschütteln sorgend, bekommen Neulinge hier aber eine ganze Menge geboten. Durch die rosarote Brille betrachtet. Mit beidseitigem Augenzwinkern… nichtsdestotrotz handelt es sich um einen guten Port, den sich die Spielerschaft in dieser Qualität bereits für GTA: The Trilogy gewünscht hätte. Doch genug mit den Vergleichen, gebt eurem Pferd die Sporen, reitet dem Sonnenaufgang entgegen und habt Spaß mit
einem der besten Programme der Videospielgeschichte!
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