Sea of Stars im Test: Nostalgie und Moderne vereint

Im Frühjahr des Jahres 2020 öffnete Sabotage Studio eine Kickstarter-Kampagne für ein JRPG, welches von Retro-Titeln der 16-Bit-Ära inspiriert sein sollte. Das Entwicklerteam hinter dem Indie-Hit The Messenger plante mit Sea of Stars seinen nächsten Streich und viele Retro-Fans waren direkt sehr angetan von der Präsentation. Dies spiegelte sich auch in der Crowdfunding-Kampagne wider, welche durch die Decke ging und mit über 1,5 Millionen US-Dollar das angestrebte Ziel von 133.000 US-Dollar somit um mehr als das Zehnfache übertraf. Das Studio plante eine Veröffentlichung im Jahr 2022, doch leider fiel die Wartezeit auf das rundenbasierte Rollenspiel etwas länger aus.

Das Bild zeigt die physische Version von Sea of Stars.
Die exklusive Retail-Version für Unterstützer der Kampagne

Am 29. August 2023 war es endlich so weit und Sea of Stars erschien unter anderem für die Nintendo Switch. Es ist digital im Nintendo eShop verfügbar, schlägt mit 33,99 € zu Buche und nimmt ca. 3,9 GB Speicherplatz ein. Eine physische Edition wird im Frühjahr 2024 durch iam8bit veröffentlicht. Was der sehnlich erwartete Titel zu bieten hat und ob dieser zurecht mit Vorschusslorbeeren überschüttet wurde, verraten wir euch im nachfolgenden Testbericht.

Im Vorfeld sorgte die Inspiration von Spielen wie Super Mario RPG, Illusion of Time, Final Fantasy VI oder Chrono Trigger für Jubelstürme. Vor allem von letztgenanntem Titel finden sich einige Anleihen in Sea of Stars, worauf ich im weiteren Verlauf näher eingehen werde.

Lange Wartezeiten und holpriger Start

Zunächst lasst uns aber über etwas Offensichtliches sprechen: Die Startzeit des Spiels ist lang; bis ihr den Startbildschirm zu Gesicht bekommt, vergehen mit Anzeige der Keyart und der darauffolgenden Logos von Sabotage Studio sowie Kowloon Nights gut und gerne 20 Sekunden. Bleiben wir bei Ladezeiten: Ihr müsst beim Wechsel von Gebieten zwischen 7 und 10 Sekunden einplanen. Nun, dass wir diesen ersten Kritikpunkt hinter uns gebracht haben, lasst mich euch erzählen, wie der Beginn von Sea of Stars vonstattengeht. Eingeleitet wird die Geschichte durch den Archivar, der darüber berichtet, dass er eine Abenteuerlegende erkunden möchte, von der er glaubt, dass diese eine Lösung für die Qualen des bösen Alchemisten „The Fleshmancer“ bieten könnte. Und so beginnt die Erzählung in einer Welt, in der die sogenannten Krieger der Sonnenwende in der Magie der Sonnenfinsternis ausgebildet werden, um die Unheil-bringenden Eremiten, Schöpfungen des Fleshmancers, zu läutern und so den Frieden zurückzubringen.

Das Bild zeigt eine Textzeile des Archivars in Sea of Stars.
Der Archivar leitet die Story ein

Und so machen sich der Sonnenklingentänzer Zale und die Mondmönchin Valere nach der Ausbildung in der Zenith-Akademie auf den Weg zum vermeintlich letzten Eremiten. Doch bevor ihr selbst voll ins Spielgeschehen eingreifen könnt, spannt euch die Einleitung mit vielen Textboxen auf die Folter. Für Genre-Neulinge oder eher ungeduldige Spieler, die direkt eintauchen wollen, kann der Einstieg schon eine kleine Hürde darstellen. Andererseits ist gerade der Start wichtig, um die Prämisse und die daraus folgenden Ereignisse verstehen zu können. Auch wird hier ein erstes Bild zu den Charakteren und ihrer Hintergrundgeschichte gezeichnet. Aus diesen Bildern erschafften die Entwickler ein regelrechtes Gemälde – um bei dieser Analogie zu bleiben. Die Story nimmt nach der Einleitung zügig Fahrt auf und weiß mit einigen Wendungen zu begeistern. Doch genauso schnell, wie die Spannung aufgebaut wird, endet die Geschichte auch wieder, denn bereits nach etwa 25 Stunden erreicht ihr das plötzliche Ende. Das ist schade, denn man hat einfach das Gefühl, dass einige erzählerischen Aspekte aus zeitlichen Gründen nicht weiter ausgeführt oder sogar entfernt wurden.

Klassisches und modernes Kampfsystem in Sea of Stars vereint

Neben der Story ist natürlich auch das Gameplay in Rollenspielen besonders wichtig. Ihr bewegt euch mit den Charakteren frei in den Arealen, indem ihr lauft, klettert oder sogar schwimmt. Links und rechts neben dem Hauptweg könnt ihr diverse Materialien oder Schatztruhen mit Sammelgegenständen finden, aber der Pfad ist sehr linear gehalten. Unterbrochen werdet ihr in eurem Fortschritt lediglich durch Gegner, die sich euch in den Weg stellen. Hier finden wir einen offensichtlich von Chrono Trigger inspirierten Aspekt: Es gibt keine Zufallskämpfe, wie sonst aus den meisten klassischen RPGs gewohnt. Kommt ihr in die Nähe eines Gegners oder lauft ihr in diesen, wird der Kampf getriggert – dieser startet unmittelbar und ohne Wechsel in einen Kampfbildschirm an Ort und Stelle.

Hier bleibt alles wie „gewohnt“, denn ihr befindet euch nun in einem rundenbasierten Kampf gegen eure Feinde. Diese könnt ihr mit normalen Angriffen oder einem eurer Skills angreifen; es gilt, den hinzugefügten Action-Aspekt zu berücksichtigen, denn sowohl bei Angriffen als auch bei Verteidigung gegnerischer Attacken gilt es, im richtigen Augenblick die Aktionstaste zu drücken. So könnt ihr euren Gegnern einerseits zusätzlichen Schaden zufügen, andererseits den selbst erlittenen Schaden reduzieren. Vor allem beim Ausführen von Skills kommt es auf gutes Timing an, um große Kombos freizusetzen. Die Idee ist super, da sie das Kampfgeschehen auflockert, aber leider hapert es etwas bei der Umsetzung. Gerade, wenn viel im Kampf los ist, kann das ständige Knöpfedrücken für den Timing-Aspekt nerven und anstrengen – vor allem, weil jeder Angriff einen individuellen Zeitpunkt für diese Aktion erhält.

Ihr solltet zudem eure MP-Leiste im Auge behalten, denn nur mit ausreichend MP lassen sich Skills anwenden. Die Leiste füllt ihr einerseits wieder durch normale Angriffe oder Items mit dem entsprechenden Effekt. Durch Ausführen der Skills füllt sich eure Kombo-Leiste, welche es ermöglicht, besondere Kombo-Angriffe auszuführen. Dabei schließen sich zwei Charaktere für eine besonders starke Attacke oder einen Heilzauber zusammen. Zu einem späteren Zeitpunkt im Spiel habt ihr zudem noch die Möglichkeit, durch Wirken magischer Angriffe oder Skills, eine weitere Leiste zu füllen. Diese ermöglicht es euren Charakteren seinen individuellen ultimativen Skill auszuführen, welcher durch eine Zwischensequenz präsentiert wird und enorme Durchschlagskraft besitzt. Neben diesen Interaktionen habt ihr lediglich noch die Möglichkeit, Items einzusetzen.

Das Bild zeigt einen Bosskampf in Sea of Stars gegen einen stacheligen raupenähnlichen Gegner.
Der Gegner bereitet sich auf einen enormen Angriff vor

Fehlende Abwechslung in den Kämpfen

Die Aktionsreihenfolge im Kampf könnt ihr an den Uhren sehen, die über euren Gegnern angezeigt werden. Solange, wie diese nicht abgelaufen sind, führt jeder Charakter eine Aktion aus. Eure Gegner verfügen – ähnlich wie ihr auch – über normale Angriffe und „Skills“. Vor dem Angriff mit einem Skill werden Symbole neben den Uhren angezeigt. Greift ihr passend mit den dazugehörigen Fähigkeiten an und löscht alle Zeichen aus, bis die Uhr abgelaufen ist, könnt ihr die besondere Attacke eures Feindes umgehen. Wenn wir Fähigkeiten thematisieren, müssen wir auch über die Vielfalt der Möglichkeiten im Kampf sprechen; diese fällt leider ernüchternd aus. Euch stehen im Laufe des Spiels nur eine Handvoll spielbarer Charaktere zur Verfügung – dies sorgt zwar für eine gewisse Individualität der Charaktere; die Varianz der Fähigkeiten ist dabei aber gering. Auch die Anzahl der erlernbaren Skills der einzelnen Spielfiguren können an einer Hand abgezählt werden, was gerade bei RPGs zu einseitigem Kampfgeschehen führen kann. Gerade dieser Punkt und die Tatsache, dass man mit Stufe 20 das Spiel beenden kann, machen auf der einen Seite deutlich, dass hier kein Grinding notwendig ist; auf der anderen Seite ist klar zu erkennen, dass die Entwickler vermutlich mehr Inhalte geplant haben und diese nicht mehr zeitig umsetzen konnten – und diese nun in dem bereits angekündigten DLC implementieren könnten.

Sea of Stars: Stufenaufstieg und Kampfunfähigkeit

Nach jedem Kampf erhält man in typischer RPG-Manier Erfahrungspunkte; das gilt für alle Charaktere in eurem Team – auch, wenn sie sich nicht im Kampf befinden. Habt ihr euch genügend Punkte erkämpft, steigen eure Charaktere eine Stufe auf. Neben den automatischen Verbesserungen der verschiedenen Werte könnt ihr aus einem von vier Werten wählen, welcher einen Bonus erhalten soll. Das Pacing ist optimal für das Spiel ausgelegt; da das Leveln recht schnell vonstattengeht. Das ist auch notwendig, da Sea of Stars komplett auf Grinding verzichtet.

Das Bild zeigt einen Stufenaufstieg.
Level Up!

Selbst eure kampfunfähigen Protagonisten werden beim Sammeln von Erfahrungspunkten nicht ausgeschlossen. Apropos: Kampfunfähigkeit ist auch in diesem RPG ein Zustand, der eintritt, wenn die Lebensleiste auf 0 fällt. In Sea of Stars ist dies allerdings kein dauerhafter Zustand; sollte ein Charakter im Kampf ausfallen, setzt dieser zwei Runden aus und kommt danach mit halb gefüllter Lebensleiste zurück in den Kampf. Bei jeder weiterer Kampfunfähigkeit im gleichen Kampf verlängert sich die Zeit um jeweils eine Runde. Dies ist ein erfrischender Ansatz und sorgt dafür, dass man nicht zwingend Items zur Wiederbelebung einsetzen muss. Sollte allerdings bei allen drei kämpfenden Charakteren die Lebenleiste auf 0 fallen, verliert ihr und bekommt den Game-Over-Bildschirm zu sehen. Dies sollte bei erfahrenen RPG-Spielern eher selten vorkommen. Für Spieler, die generell einen niedrigeren Schwierigkeitsgrad bevorzugen, bietet Sea of Stars eine interessante Alternative. Anstatt einen leichteren Schwierigkeitsgrad in den Einstellungen zu aktivieren, könnt ihr hier verschiedene Relikte erhalten und erwerben. Diese haben verschiedene Auswirkungen aufs Spiel, darunter eine massive Erhöhung eurer Lebenspunkte oder eine Verringerung des erlittenen Schadens. Ihr könnt die verschiedenen Relikte nach Belieben ein- und ausschalten und somit euren Schwierigkeitsgrad situationsbedingt anpassen.

Das Bild zeigt die Möglichkeit, Relikte in Sea of Stars zu erwerben.
Relikte sind relative erschwinglich und passen den Schwierigkeitsgrad individuell an

Audiovisuelle Darbietung

Während die Story und das Gameplay der Kern eines jeden Rollenspiels darstellen, sollte man die grafische Präsentation, die Performance und die musikalische Untermalung nicht vernachlässigen. Hier hat Sabotage Studio einen regelrechten Leckerbissen erschaffen. Die Grafik ist im charmanten und knackigen 16-Bit-Pixellook – ähnlich zu Chrono Trigger – gehalten. Die Gebiete sind variantenreich gestaltet und mit liebevollen Details gespickt. Es macht riesigen Spaß, die Areale zu erkunden und die atemberaubende Aussicht zu genießen. Sea of Stars besitzt sogar Zwischensequenzen, die bei wichtigen Szenen abgespielt werden; auch diese sind atemberaubend im Comic-Stil animiert und bieten eine nette Abwechslung zum bezaubernden Pixelstil.

Die Soundeffekte und vor allem der Soundtrack machen ebenfalls einiges her! Die Musik besitzt ebenfalls Anleihen von Chrono Trigger. Dies liegt vor allem an der Inspiration durch eben dieses JRPG-Meisterwerk, denn die musikalische Limitierung der SNES-Zeit wurde hier nachempfunden. Auch die Zusammenarbeit mit Yasunori Mitsuda, dem legenden Komponisten von Chrono Trigger, spielt hier definitiv mit rein. Er steuerte ein gutes Dutzend Tracks zur Hommage an die 90er JRPGs bei und sorgte mit dafür, dass der Soundtrack ein überragender Ohrenschmaus ist. Als Hauptkomponist zeichnet sich allerdings Eric W. Brown von Sabotage Studio verantwortlich. Er stellte bereits die einprägsame Musik zu The Messenger bereit und zeigt hier seine ganze Kompetenz. Eine Vielzahl von Tracks besitzen zudem mehrere Arrangements (für den Tag, die Nacht und eine Piraten-Version).

Fazit zu Sea of Stars

Pros:

  • Atemberaubende Pixelgrafik
  • Zwischensequenzen im Comic-Stil
  • Überragender Soundtrack mit Ohrwurmgarantie
  • Zusammenarbeit mit Chrono Trigger-Komponist Yasunori Mitsuda
  • Spannende Story mit interessanten Wendungen…

Cons:

  • … die leider zu schnell und plötzlich endet
  • Kampfsystem auf Dauer repetitiv
  • Gefühl von fehlendem Inhalt: Entwicklungszeit zu kurz?
Je nach Gewichtung +0,5

Sea of Stars ist eine Liebeserklärung an alte SNES-Klassiker wie Chrono Trigger sowie Final Fantasy VI und schafft es, deren beste Eigenschaften elegant in die heutige Zeit zu transportieren. Über weite Strecken fühlt sich das Abenteuer erstaunlich vertraut an, denn die Optik, die Spielwelt und auch viele der Spielmechaniken gab es in ähnlicher Form bereits in den 90ern. Dennoch schafft es Sabotage Studio, dem Spiel seinen eigenen Stempel aufzudrücken, sodass Sea of Stars nicht nur durch reine Nostalgie getragen wird.

Hier und da gibt es dennoch einige kleinere Anlässe zur Kritik. Das Kampfsystem kann vor allem aufgrund von fehlender Varianz der Fähigkeiten nicht vollends überzeugen, und wirkt auf Dauer etwas repetitiv. Zur schwerwiegendsten Schwäche gehört allerdings, dass man hier und da merkt, dass dem Spiel ein paar Monate Entwicklungszeit mit Implementierung weiterer Inhalte gut gestanden hätten. Auf der anderen Seite gibt es aber viele positive Aspekte, die diese Mängel wieder mehr als aufwiegen. Allein der wunderschöne Soundtrack und die packende Story machen aus Sea of Stars ein unvergessliches Erlebnis, das jeder JRPG-Fan erlebt haben sollte.

Über Marcel Eidinger 1855 Artikel
Marcel ist im Jahr 1986 geboren, dem Jahr, wo seine Lieblings-Spielereihe ihren Ursprung hat: The Legend of Zelda. Mit seinen nun mehr als 30 Jahren Lebens- und ca. 25 Jahren Nintendo-Erfahrung versucht er euch mit Liebe und Leidenschaft auf dem Laufenden zu halten!

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