Shadow Man Remastered im Test: der unterhaltsame Ausflug in die Dunkelheit

Shadow Man-Review: „Legion heiße ich; denn wir sind viele!“ (Markus, 5:9)

Es war einmal… Das Entwicklungs- und Vertriebsstudiostudio Acclaim galt aufgrund seiner bahnbrechenden Erfolge Mitte bis Ende der 90er Jahre in der Gamerszene als Garant für Videospiele höchster Qualität. Sei es nun der Future-Racer Extreme-G, die Wrestling-Rauferei WWF Attitude oder die
Dino-Dezimierungsserie Turok. Alles Titel, die ihre Daseinsberechtigung hatten und sogar in vielerlei Hinsicht mit den ganz Großen N64-Entwicklern Rare und Nintendo mithalten konnten.

Doch wie so oft reichten ein paar wirtschaftlich verhängnisvolle Fehltritte aus, um ein Studio trotz großer Verdienste in den Bankrott zu treiben. Nachdem Zugpferd Turok durch einen lieblos und seiner Zeit deutlich hinterherhinkenden vierten Teil auf dem GameCube, der PlayStation 2 und der XBox fortgesetzt wurde, es aber inzwischen Shooter wie Half-Life oder Unreal gab, ging es mit dem einst so erfolgreichen Studio zügig den Bach runter. 2004 wurden dann aus finanziellen Gründen die Pforten für immer geschlossen.

Doch begeben wir uns wieder in die erfolgreiche Blütezeit der Acclaim Studios ins Jahr 1999.
Inzwischen eine eigene Comiclinie verfolgend (zweckdienlich Acclaim Comics genannt), veröffentlichte Acclaim ein Spiel zu einer seiner dunkelsten Comicreihen. Es ist von dem bis dato außerhalb der USA unbekannten Shadow Man die Rede, dem eine ungewöhnlich komplexe, sehr interessante und einmalige Story zugrunde liegt. Das ideale Futter also, um auf dem damals fortschrittlichen N64 eine packende Inszenierung zu gewährleisten. Angekündigt wurde das im Januar 2022 erschienene Remaster (→ zur Spieleseite auf Nintendo.de) bereits im Frühjahr 2020.

Auf diesem Screenshot des Spiels Shadow Man ist ein großer Totenkopf mit Hut zu sehen.
Viele skurrile Charaktere werden Euch begegnen

Ein neues Franchise, eine neue Geschichte

Es ist äußerst lobenswert und erfreulich, dass ein Studio weiterhin den Kreativ-Pfad beschreitet und sich nicht (nur) auf die Stärken etablierter Marken verlässt. Die Story verdient hierbei besondere Beachtung, ist sie doch für ein Action-Adventure so ungewohnt facettenreich wie tiefgründig.
Der Hauptcharakter Mike LeRoi ist eigentlich kein besonders auffälliger Mann – er wird es aber, nachdem ihn ein schweres Schicksal ereilt. Bei einem Autounfall verlor er seine gesamte Familie. Auch Mike selbst ist stark angeschlagen und befindet sich im Koma. Während dieses Zustands bekommt er von einer Voodoo-Priesterin namens Nettie eine Maske in die Brust implantiert, durch welche er als Shadow Man übernatürliche Kräfte freisetzen kann. Dabei steht er allerdings stets unter Netties Fuchtel, die ihn alles tun lässt, was sie verlangt. So soll er fünf der kaltblütigsten Massenmörder der Menschheitsgeschichte stoppen, um die Welt vor einer Übernahme durch das abgrundtief Böse namens Legion zu bewahren.

Doch bis dahin ist es ein langer, beschwerlicher Weg… soviel zur Einordnung der originellen Story, der große Rest soll an dieser Stelle nicht gespoilert werden. Denn eher untypisch entfaltet sich die
Hintergrundgeschichte erst während des Spielens nach und nach und bietet damit eine eher
ungewöhnliche Erzählweise. Doppelt untypisch, wenn man den zeitlichen Background betrachtet. Denn vor gut 20 Jahren wurde die Rahmenstory eines Videospiels zumeist auf den ersten Seiten der Spielanleitung verewigt und zwecks Spannungsaufbau nach drei Absätzen mit Punkt Punkt Punkt beendet…

Auf diesem Screenshot des Spiels Shadow Man ist eine liegende Leiche mit geöffnetem Brustkorb zu sehen.
Die morbide Grundstimmung wird durch die Umgebungsgrafik gut eingefangen – nichts für
zarte Gemüter!

Unterwegs im remasterten Schattenreich von Shadow Man

Neugierig geworden? Na dann mal los, denn Dank des technischen Fortschritts ist es inzwischen möglich, das Spiel auch unterwegs zu genießen – ja, sprichwörtlich genießen! Denn es zeichnen sich wieder einmal die Remaster- und Portierungskünstler von Nightdive Studios für die Switch-Umsetzung verantwortlich. Nightdive Studios stellen inzwischen das Nonplusultra für sowohl technisch als auch inhaltlich exzellente Umsetzungen dar. Sie liefern nicht einfach nur immer ab, sondern packen auch stets die berühmte Schippe obendrauf, laufen immer die Extrameile für die verwöhnte Spielerschaft. Sei es durch sinnvolle Optionserweiterungen, inhaltliche Optimierungen oder teils interessantes Bonusmaterial. Soll heißen: das Studio hat sich in relativ kurzer Zeit einen brillanten Ruf erarbeitet, so dass man als Genrefreund blind zugreifen kann… vorausgesetzt natürlich, das Ausgangsmaterial ist gut. Die alles entscheidende Frage ist
also immer die gleiche: Ist es das denn?

Die ersten Schritte

Zu Beginn findet sich unser Hauptprotagonist Mike LeRoi in den versumpften Landgegenden Lousianas wieder, wo er alsbald mit Nettie (der er übrigens immer wieder während seines Abenteuers über den Weg läuft) die ersten Dialoge austauscht und eine Pistole erhält. Nach dem zugegebenermaßen recht langweiligen Einstieg geht es weiter durch die matschige Ödnis und einem kleinen Dungeon, bis nach etwa 1–2 Stunden der erste Bossfight ansteht. Leider ist das Treffer-Feedback nicht allzu dolle, das gilt sowohl für die normalen Gegner als auch für die dickeren Brocken. Nach dem ersten herausfordernden Kampf fällt die Spannungskurve wieder ab und das Spiel plätschert in der Folge etwas vor sich hin.

Das mag jetzt alles schrecklich negativ klingen und der Einstieg hätte wesentlich weniger sperrig, dafür aber deutlich spannender ausfallen können. Aber wenn Ihr erstmal die ersten paar Spielstunden überstanden habt, wird Shadow Man nach und nach immer facettenreicher und anspruchsvoller. Nur bis dahin müsst Ihr Euch durchbeißen und nicht bereits nach den ersten ernüchternden Momenten die Flinte ins Korn werfen.

Auf diesem Screenshot des Spiels Shadow Man ist ein Mann im orangenen Overall auf einem Stuhl sitzend zu sehen.
Nee, lass’ mal stecken… aber danke der Nachfrage

Das soll eine Warnung dahin gehend sein, dass Euch ansonsten ein gutes Action-Adventure der damaligen Konsolengeneration durch die Lappen geht! Und das wäre doch mehr als schade. Zumal das anfängliche Interaktiv-Intro „nur“ zwei bis drei Stunden dauert. Das mag sich jetzt nicht sonderlich wenig anhören, ist aber bei einer Gesamtspielzeit von um die 50 Stunden eher ein Tropfen auf den heißen Spielspaß-Stein.

Hier war ich doch schon mal…

Ein Titel wie Shadow Man muss natürlich im ursprünglichen Kontext und dem damaligen Zeitgeist gesehen werden. So gibt es (leider!) sehr viele Backtracking-Passagen, die nicht zuletzt durch die starken Metroidvania-Anleihen unvermeidbar sind. Während der gesamten Spielzeit wird man also zwangsläufig viele Pfade viele Male beschreiten müssen. Dabei können aber hin und wieder Abkürzungen aktiviert werden, so dass einige Fußmärsche zumindest teilweise verkürzt werden können. Einige Wege werden auch unabsichtlich immer wieder durchlaufen, da sich das Fehlen einer Map bei Shadow Man deutlich bemerkbar macht. Auch können so Abzweigungen leicht übersehen werden, welche für den Spielfortschritt aber unabdingbar sind.

Wie es sich für einen waschechten Genretitel gehört, hat man sich fleißig bei der großen Schwester Tomb Raider bedient, so dass viel gehüpft und an Wänden entlang gehangelt wird. Lara Croft war damals schließlich das Nonplusultra im Genre. So nahm man diese Spielmechaniken mit einem Schulterzucken hin, allerdings gestaltet sich diese Art von Gameplay heutzutage als weit weniger spaßig. Man ist über all die Jahre inzwischen eben wesentlich Besseres und Eleganteres gewohnt. Die Steuerung ist alles in allem gut gelungen, jedoch nicht immer pixelgenau. Die hölzernen Animationen helfen dabei auch nicht wirklich weiter, so dass bei diesen Passagen keine wirkliche Freude aufkommt. Glücklicherweise kann das Spiel aber durch zahlreiche positive Aspekte aufwarten, die diese Stellen zwar nicht vergessen lassen, aber
deutlich erträglicher machen.

Auf diesem Screenshot des Spiels Shadow Man ist eine Turnhalle mit Leichen im blauen Overall zu sehen.
Spiel, Satz und Tod!

Shadow Man: Ohren- und Augenschmaus

Viel Lob und Anerkennung verdient sich der grandiose Score, der das Spiel atmosphärisch ungemein unterstützt und teils sogar der Immersion zugute kommt. Meist gibt es keine Melodien als solche zu hören, sondern das Spielgeschehen wird ständig durch eine energiegeladene, stets der Situation angepasste Klangkulisse erweitert. Ein ganz ähnlicher Ansatz wurde bereits bei Doom 64 verfolgt. Aufgrund des düsteren, ernsten Settings absolut die richtige Wahl! Das soll aber nicht heißen, dass es gar keine Musikstücke gibt. In einigen Spielabschnitten dringen auch auskomponierte Melodien an die Ohren der Spielerschaft, wie beispielsweise in den Altarräumen der fünf Massenmörder, die während des Spiels gelegt werden müssen. Gleichzeitig stellt die Eliminierung der finsteren Gestalten auch eines der Hauptziele des Spiels dar.

Für Kinderhände ist Shadow Man daher sicherlich nicht geeignet, aber das sollte ob der Story und der allgemeinen Thematik bereits deutlich geworden sein. Großartige Splatterorgien werden Gorefans aber ebenfalls vergeblich suchen. Zwar explodieren die meisten Feinde nach Beschuss in einer fleischhaltigen Blutwolke (die je nach Größe der Gegner variiert – cooles Detail!), aber das war es dann auch schon. Um viele Räumlichkeiten wie Schlachthäuser und blutverschmierte Lagerhallen würde man privat wohl auch eher einen großen Bogen machen, aber die morbide Grundstimmung wird durch die Wahl der Settings eindrucksvoll unterstrichen.

Übrigens: Der Gewaltgrad entspricht dem der unzensierten Ursprungsfassung. Die Version für den deutschen Markt wurde wegen damaliger Indizierungsgefahr umfangreich beschnitten.

Auf diesem Screenshot des Spiels Shadow Man ist eine große Blutwolke, links eine Tür und rechts ein Gitter zu sehen.
Das Remaster ist auch in Deutschland komplett uncut – heutzutage selbstverständlich,
früher bei gewalthaltigen Spielen eher die Ausnahme

Es fallen dabei die für damalige N64-Verhältnisse sehr abwechslungsreichen Texturen auf, bei denen stets die Bemühungen zu sehen sind, dass sich diese ja nicht allzu oft und inflationär wiederholen. Im Remaster von Shadow Man mag die Spielerschaft (berechtigterweise!) zu dem Schluss kommen, dass doch alles ziemlich gleich oder zumindest sehr ähnlich aussieht. Ende der 90er war das jedoch dem knappen Cartridge-Speicher geschuldet. Die eigens für das Spiel kreierte Vista-Engine sorgt immerhin dafür, dass einem die leider fast schon obligatorisch anmaßende N64-Nebelsuppe erspart bleibt und die Weitsicht erfreulich hoch ausfällt. Schön zu sehen, dass sich die Entwickler ernsthafte Gedanken für die Umsetzung aufs 64-Bitter gemacht haben.

Nicht weniger eindrucksvoll sind die über 60 Minuten Sprachausgabe, wobei die deutschen Sprecher durchweg einen hohen Bekanntheitsgrad haben. So konnten die Synchronstimmen von Samuel L. Jackson (Mike LeRoi), Whoopie Goldberg (Nettie) und weitere Hochkaräter für das Projekt gewonnen werden.

Die Switch-Version von Shadow Man

Die Grafik hat von der Aufhübschung und der Hochglanzpolitur nur profitiert. War die Ursprungsfassung doch leider recht matschig anzusehen (das Expansion Pak des N64 wurde aber vorbildlich eingesetzt, die zusätzlichen 4 MB RAM sorgten für eine höhere Auflösung ohne nennenswerte Slowdowns), gibt es auf der Switch ein scharfes Bild. Außerdem gibt es neue und der Atmosphäre dienliche Licht- und Schatteneffekte zu bestaunen. Der Respekt vor dem Original ist aber mit jedem Schritt spürbar, es sind also überwiegend Anpassungen kosmetischer Natur.

Auf diesem Screenshot des Spiels Shadow Man ist ein rundes Portal mit Blitzen zu sehen.
Durch diese Portale kommt ihr erst nach Beenden bestimmter Spielabschnitte

Die Steuerung ist ebenfalls gut umgesetzt worden. Teils wurden aber auch sperrige Elemente übernommen, wobei sich die Verantwortlichen schon Mühe gegeben haben, alles möglichst komfortabel umzusetzen. Dieser Kritikpunkt ist aber der Ursprungsversion zuzuschreiben, da dort individuell der linken und der rechten Hand Waffen, Gegenstände und Ähnliches zugewiesen werden konnten. Nicht so dramatisch, aber eben auch nicht wirklich bequem. Gameplaytechnisch ist die Remastered-Fassung ebenfalls ganz vorne dabei. Speicherplatzbedingt und eventuell auch aus Zeitmangel konnten nicht alle Elemente wie angedacht auf dem N64 umgesetzt werden. Es gibt sogar leveltechnische Erweiterungen, die zunächst der PC-Gemeinde vorenthalten blieben. Zusätzlich auch Dialoge, die es nun erstmals für Konsoleros zu hören gibt. Mit der Neuauflage liegt also die definitive Fassung von Shadow Man vor. Das ging ja recht flott, es waren ja nur gut 20 Jahre…

Adventurekost für Jedermann? Das Fazit

Pros:

  • Sehr umfangreich
  • Toller Score
  • Prominente, überzeugende Synchronstimmen
  • Erfrischend andere Story
  • Vorbildliche Portierung
  • Gute Atmosphäre
  • Zusätzliche Inhalte

Cons:

  • Quälendes Backtracking
  • Schwaches Trefferfeedback
  • Abwechslungsarme Gegner
  • Komplette Soundausstzer im Prisonlevel (technischer Bug?)
  • Langweiliger und recht sperriger Einstieg

Aufgrund der einschlägig gewalttätigen Ausrichtung, des Settings samt Hintergrundgeschichte sowie des üppigen Umfangs ist Shadow Man sicherlich nicht für die jüngeren und/oder Gelegenheitsspieler gedacht. Und trotz der zahlreichen positiven Eigenschaften des Spiels gibt es auch weniger Gelungenes. So ist der Spielverlauf mitunter zähflüssig und Standard-Komforthilfen wie eine kleine, permanente Übersichtskarte stellen bereits seit The Legend of Zelda: The Ocarina of Time (1998) eine Selbstverständlichkeit dar.

Ohne diese wirkt Shadow Man oftmals unnötig verschachtelt und kann dadurch auch den Spielspaß trüben. Nichts gegen Backtracking als solches, aber wenn man sich zum x-ten Male durch dieselben Sümpfe und Betongänge quält, weil alles fast gleich aussieht, nervt es einfach nur noch und stört den Spielfluss merklich. Selbst mit gutem Orientierungssinn kommt man öfters als einem lieb ist nicht dort an, wo man eigentlich hin wollte.

Das Leveldesign versucht dem etwas entgegenzuwirken, indem ab und an Abkürzungen freigespielt werden können und auch ein paar Warp-Portale zum Reisen genutzt werden. Die zahlreichen Jump’n’Run-Passagen wirken durch die abgehackten Animationen eher ausladend und sind an einigen Stellen durch ungünstige Kameraperspektiven zusätzlich nervig.

Das sollte vor dem Kauf (runde 17,72€ im Nintendo eShop, ab 18 Jahren) auf jeden Fall bedacht werden.
Wer über die Schwächen und Sperrigkeiten des Programms hinweg sehen kann, bekommt es mit einem der besten Action-Adventures der N64-Ära zu tun. Okay, so schrecklich viele gab es ja auch nicht, aber dennoch ist der Ausflug ins dunkle Shadow Man-Universum recht unterhaltsam!

Das Testmuster wurde uns von Nightdive Studios zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!

Über Marcel Eidinger 1841 Artikel
Marcel ist im Jahr 1986 geboren, dem Jahr, wo seine Lieblings-Spielereihe ihren Ursprung hat: The Legend of Zelda. Mit seinen nun mehr als 30 Jahren Lebens- und ca. 25 Jahren Nintendo-Erfahrung versucht er euch mit Liebe und Leidenschaft auf dem Laufenden zu halten!

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