Am 28. April 2022 war es soweit: das rundenbasierte Roguelike-„Kartenspiel“ Rogue Lords erschien endlich auch für Konsolen. Nachdem ich vor ziemlich genau einem Jahr an der Beta für den PC teilgenommen hatte und überwiegend begeistert war (→ zum Artikel), konnte ich natürlich gar nicht anders, als das fertige Spiel ausführlich zu testen. Wie das Ergebnis ausfällt und warum der Teufel buchstäblich im Detail steckt, erfahrt ihr in diesem Test.
Die Story von Rogue Lords
Fangen wir mit dem besten Teil des Spiels an – der Story und wie sie erzählt wird. Rogue Lords ist eines der wenigen Spiele, in denen ihr mal nicht auf der Seite des Lichtes steht. Im Gegenteil, ihr seid der Teufel höchstselbst, der seine Schergen – bekannte Kreaturen der Horrorliteratur wie Dr. Frankenstein, Graf Dracula, Bloody Mary oder der kopflose Reiter – in die Schlacht schickt. Nachdem ihr vor einer ganzen Weile von Van Helsing und seinen Dienern des Lichts von der Erdoberfläche verbannt worden seid, sinnt ihr nun auf Rache und eure Rückkehr an die Oberwelt. Schnell merkt ihr, dass sich unter der Leitung von Van Helsing ein neuer Kult namens „Sanctua Lumen“ (übersetzt in etwa „heiliges Licht“) breit gemacht hat. Diese sind im Besitz von sechs wichtigen Artefakten, die sie dem Teufel vor seinem Abgang entwendet haben – und genau die gilt es zurückzuholen, bevor ihr es mit Van Helsing aufnehmen könnt.
Das Geschehen wird in einzelnen Geschichten zum jeweiligen Artefakt vorangetrieben. Dabei wird mit allen Mitteln der Kunst ein schauerliches Ambiente kreiert – nicht zu brutal, nicht zu blutig, sondern einfach gruselig-angespannt. Die Stimmung erinnert stark an Tim Burton-Filme, mit einer Prise Sweeney Todd. Die charismatische, düstere Stimme des Teufels, der das Geschehen immer mal wieder kommentiert oder die einzelnen Kapitel des jeweiligen Aktes vorliest, passt perfekt. Allgemein geben die Sprecher sich Mühe, abwechslungsreich und dem Charakter entsprechend zu klingen, was jedoch leider durch die geringe Anzahl an unterschiedlichen Sprüchen getrübt wird.
Jede Geschichte ist in sechs Kapitel unterteilt, welche die Geschichte vorantreiben, während ihr euch auf der zufällig generierten Map voranbewegt. Sterbt ihr – und das werdet ihr häufiger, als euch lieb ist – dann fängt auch diese Geschichte wieder von vorne an. Zum Glück kann man die Texte auch überspringen, wenn man keine Lust mehr hat, sie zum 380. Mal zu hören.
Rogue Lords – Das Gameplay
Ihr startet im Versteck des Teufels. Dort könnt ihr in einer Übersicht alle bereits freigeschalteten Kreaturen anschauen und euch ihre möglichen Fähigkeiten durchlesen, um so etwas wie eine Strategie zu überlegen. Diese werft ihr jedoch im eigentlichen Spiel relativ schnell wieder über Bord, weil ihr häufig nicht die passenden Fähigkeiten findet. Außerdem könnt ihr dort eure Achievements und die möglicherweise nutzbaren Relikte analysieren. Zuletzt liegt breit auf dem Tisch ausgebreitet die Karte, über die ihr das gewünschte Kapitel auswählen könnt.
Zu Beginn des Kapitels wählt ihr drei eurer freigeschalteten Lords aus, mit denen ihr die Geschichte erleben wollt. Diese unterscheiden sich vor allem in der Hauptschadensart und ob sie eher als passive Helfer für euer Team agieren, oder eure Schadensverteiler sind. Eine gute Auswahl ist hier entscheidend, denn das Spiel schenkt euch nichts.
Die Map
Rogue Lords spielt sich auf einer kleinen, verzweigten Karte. Ihr zieht dort von Ort zu Ort und müsst dort entweder Kämpfe beschreiten oder Events absolvieren, je nachdem, welches Symbol zu sehen ist. Auf diese Weise könnt ihr euren Weg schon etwas vorausplanen.
Leider gibt es auf der Map selbst relativ wenig Abwechslung. Alles ist in Kriegsnebel eingehüllt, sodass ihr immer nur das Gebiet seht, indem ihr gerade seid. Habt ihr die Aufgabe erledigt, öffnen sich die Wege zu den nächsten Gebieten. Die Ortschaften sehen zwar hübsch aus, aber nach ein paar Durchläufen habt ihr alles schon einmal gesehen. Doch die Karte ist ja auch nur Mittel zum Zweck. Das eigentliche Gameplay ist entscheidend. Hier kann Rogue Lords ordentlich punkten.
Events
Neben dem Brunnen der Styx, welcher eure diabolische Essenz auffüllt oder Charaktere von Mali befreit und einem Treffen mit dem Grim Reaper höchstpersönlich, der hier als Händler für Fertigkeiten und Relikte agiert, gibt es die sogenannten Events. Dies sind Kurzgeschichten, in denen bestimmte Werte gefordert werden, um eine von mehreren möglichen Belohnungen zu erhalten. Je nachdem, wie hoch euer Wert in der geforderten Fähigkeit ist, desto besser ist die Chance auf Erfolg.
Die Events sind in kurzen Sätzen erzählt und auch hier besteht wieder das Problem, dass man nach wenigen Durchläufen garantiert auf Wiederholungen stoßen wird. Manche Events scheinen auch seltener zu sein als andere. Die Belohnungen reichen von einfachen Seelen über zusätzliche Fähigkeiten oder Fertigkeiten bis hin zu wertvollen Relikten.
Das Kampfsystem
Rogue Lords ist zwar kein Kartenspiel an sich, erinnert jedoch am ehesten an eines. Andere Reviewer nutzten Vergleiche zu Slay the Spire, welches offenbar in vielen Aspekten als Vorlage zu Rogue Lords diente (→ hier ein Beispiel). Jeder Charakter hat eine Handvoll Startfertigkeiten, die nach Benutzung erst wieder aufgefüllt werden müssen. Aktionen verbrauchen Energie, von denen ihr zu Beginn nur fünf Punkte pro Runde habt. Sind diese verbraucht, ist der Gegner an der Reihe. Es gibt zwei Lebensbalken – Gesundheit und Geist – welche pro Figur unterschiedlich gewichtet sind. Deshalb ist es sinnvoll, euer Team so zusammenzustellen, dass ihr alle Schadensarten abdeckt, um die Gegner möglichst effizient aus dem Weg zu räumen.
Jeder Charakter verfügt über eine Fähigkeit, seine aufgebrauchten Fähigkeiten wieder aufzufüllen. Diese ist meist mit einem besonderen Eigenschaft für diesen Charakter versehen. Bloody Mary platziert mit dieser Fähigkeit beispielsweise einen Spiegel hinter einem Gegner. Wann immer sie nun Schaden oder negative Eigenschaften verteilt, ereilt den Gegner vor dem Spiegel das gleiche Schicksal. Die Fähigkeiten sind sehr abwechslungsreich und dem Charakter angemessen, was dem Spiel eine hohe strategische Note verleiht. Sinkt einer der beiden Werte auf null, ist dieser Kämpfer verwundbar. Ein weiterer Treffer in der gleichen Schadensart tötet ihn. Und wenn es doch mal blöd läuft, ist man immer noch der Teufel. Und der spielt nicht fair.
Der Teufel spielt mit gezinkten Karten
Eine wichtige Spielmechanik von Rogue Lords ist das Cheaten! Ihr könnt eine Vielzahl unterschiedlicher Aktionen durchführen, wie etwa negative Status umverteilen, die Lebensenergie eines Gegners reduzieren, damit er vom nächsten Angriff umgebracht wird oder eure eigenen Kämpfer heilen. Auf der Map könnt ihr einfach einen anderen Weg einschlagen, falls euch die nächsten Optionen nicht zusagen. Bei Events könnt ihr eure Erfolgschancen erhöhen. Dafür benötigt ihr diabolische Essenz, welche gleichzeitig auch eure tatsächliche Lebensenergie ist. Sinkt dieser Wert auf null, ist das Spiel beendet und ihr kehrt zurück in eure Höhle. Ihr müsst also abwägen, wie häufig ihr eingreifen wollt. Ist beispielsweise einer eurer Kämpfer verwundbar und wird bereits von den Gegnern anvisiert, solltet ihr vielleicht fünf Punkte darin investieren, ihn zu heilen, anstatt die volle Anzahl an Schadenspunkten in diabolischer Essenz zu verlieren. Man wählt hier buchstäblich das kleinere Übel.
Das Cheaten ist eine spannende Mechanik, die viel zur Spieltiefe und Strategie beiträgt. Leider scheint ihr nicht der einzige Teufel zu sein, der bei diesem Spiel mitmischt, denn es gibt…
… den Teufel namens Glück…
… und der steht manchmal einfach nicht auf eurer Seite. Euer strategisches Können beschränkt sich bei Rogue Lords vor allem darauf, das beste aus den Fertigkeiten und Relikten zu machen, die im Verlauf der Runde einsammelt. Ob die Auswahl gut ist oder nicht, ist purer Zufall und sorgt hin und wieder durchaus für Frust. Ihr könnt noch so sehr auf eine bestimmte Fertigkeit hoffen – wenn sie nicht auftaucht, taucht sie eben nicht auf. Das Kriegshorn – eine der wichtigeren Relikte im Spiel – wäre jetzt genau das richtige für den Run? Tja, Pech gehabt, hier habt ihr die Auswahl zwischen drei nutzlosen Relikten.
Speziell bei den Events scheint das Glück nur dann auf eurer Seite zu sein, wenn ihr diabolische Essenz ausgebt. Selbst bei einer Erfolgschance von 80 % scheitert oftmals die Aufgabe, was mehr als einmal zum Spielende geführt hat, weil plötzlich Elitegegner vor mir standen, die mir mein ohnehin schon schwaches Lebenslicht auspusteten. Und doch ist die Versuchung groß, gleich die nächste Runde zu beginnen, um es diesmal wirklich zu schaffen.
Verbreitet Angst und Schrecken!
Eine weitere, relativ auf Glück basierende, jedoch zumindest lohnenswerte Angelegenheit ist die „Schreckensanzeige“. Ihr könnt bei normalen Kämpfen vorher auswählen, ob ihr als Belohnung Schrecken verbreiten, eine Fertigkeit erhalten oder Seelen erhalten wollt. Schrecken gibt es auch hin und wieder als Belohnung nach Events und jedes Mal, wenn ihr einen Elitegegner besiegt habt.
Schrecken bedeutet, dass ihr ein paar Nächte später zufällig verteilte Boni erhaltet. Das können zusätzliche diabolische Essenz, Seelen, Fähigkeitsboni oder ähnliches sein. Auf der Karte könnt ihr zu jeder Zeit einsehen, welche Boni euch wo auf eurem Weg erwarten und dementsprechend vorausplanen, wohin die Reise gehen soll.
Besonders fies ist übrigens der Bonus: „Der erste Einsatz eurer Macht kostet euch keine diabolische Essenz„. Das ist quasi ein Freifahrtschein, wenn ihr diesen Bonus bei einem Elitegegner erhaltet, denn ihr könnt ihm die gesamte Lebensleiste für Lau klauen und müsst ihn danach nur noch umpusten. Da diese Kombination häufig vorkommt, scheint sie vom Spiel tatsächlich so vorgesehen, also nur zu – Gewissensbisse sind hier Fehl am Platz. Ihr sterbt noch früh genug. Habt ihr vier Nächte lang Schrecken verbreitet, steigt euer Terror-Rang und ihr erhaltet ein Relikt als Belohnung. Außerdem ist die Chance, stärkere Fertigkeiten zu erhalten, nun dauerhaft erhöht.
Umgekehrt gibt es jedoch auch zufällige Benachrichtigungen, dass die Kräfte des Lichts gegen euch mobil machen – was euch ein paar Nächte später dann Malusse bringt
Die Präsentation
Hier merkt man, dass der Teufel noch nicht im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Rogue Lords hätte speziell für den Switch-Port ein wenig mehr Optimierungszeit benötigt. Die Grafik ist zwar identisch mit den anderen Versionen, doch Ladezeiten von rund 10 Sekunden, wenn ihr ein neues Gebiet öffnen oder einen Kampf beginnen wollt, sind für ein relativ anspruchsloses Spiel wie dieses nicht schönzureden. Von regelmäßigen Abstürzen ca. alle zwei Stunden will ich gar nicht anfangen. Glücklicherweise speichert das Spiel in der Oberwelt nach jeder Aktion ab.
Die Schriftgröße in allen Bereichen kann nur vom Teufel persönlich durchgewunken worden sein. Nun mag dahingestellt sein, ob meine Sehkraft mit 35 Jahren bereits abzunehmen beginnt, aber wenn ich nicht einmal die Erklärungen der jeweiligen Fähigkeiten oder den zugefügten Status lesen kann, ohne in den Bildschirm zu kriechen, ist die Schrift zu klein. Im Handheldmodus ist die Schriftgröße ungefähr 3 Pixel hoch. Man erkennt nicht einmal die Lebenszahlen. Hier wäre dringend eine Option benötigt, die Größe anzupassen.
Musikalisch bietet das Spiel leider auch keine große Abwechslung. Es gibt nur eine Handvoll Tracks, die jedoch die düster-schaurige Grundstimmung perfekt untermalen. Genauso repetitiv sind leider auch die paar Sätze der jeweiligen Kreaturen und des Teufels höchstselbst. Nach ein paar Runden spricht man sie alle unfreiwillig mit.
Rogue Lords – das Fazit
Pros:
- Sehr atmosphärisch runde Stimmung
- Gutes Storytelling
- Ansprechender Gameplay-Loop, der zu vielen weiteren Versuchen animiert
- Riesige Auswahl an Relikten und Fähigkeiten
Cons:
- Hoher Glücksfaktor wirkt manchmal unfair
- Die Runden dauern alle recht lang. Kurz vor dem Boss zu sterben ist wirklich ärgerlich
- Zu wenig Abwechslung bei den Events und der Sprachausgabe
- Teils mangelhafte Performance
Rogue Lords macht teuflisch viel Spaß. Hin und wieder spielt man einfach gerne den charismatische Mistkerl und sowohl bei der Story, als auch der Charakterdarstellung kann der Titel vollends überzeugen. Das Gameplay macht süchtig und geht gut von der Hand weg, wenn man erst einmal die grundlegenden Regeln begriffen hat. Leider funktioniert das Spiel nur, wenn man es auf ein reines „Nummernspiel“ reduziert. Egal, wie gut manche Effekte sein mögen oder wie gerne man bestimmte Charaktere verwenden würde – wenn dessen Fähigkeiten nichts taugen, braucht ihr es mit ihm nicht versuchen. Am schwersten liegt mir jedoch der Glücks- bzw. Zufallsfaktor im Magen. Wäre der ein kleines bisschen schwächer, wäre das Spiel ein ganzes Stück taktischer. Das hält mich jedoch nicht davon ab, mich immer wieder aufs Neue kopfüber ins Getümmel zu stürzen – und das ist es im Endeffekt, was ein gutes Spiel ausmacht.
Wer Slay the Spire mochte, wird mit diesem Rogue Lords sicherlich seine Freude haben. Auch all jene, denen taktische Roguelikes bzw. Deckbuilder-Spiele zusagen, kommen hier auf ihre Kosten.
Vielen Dank an msm.digital für die Bereitstellung des Review-Codes.
Baujahr 1987, begann bereits als Zwerg mit einem Sega Master System II zu zocken, der einzigen Nicht-Nintendo-Konsole, die er je besessen hat. Begeisterter Fan von guten Metroidvanias und The Legend of Zelda. Überwiegend Einzelspieler, aber man findet ihn gerne mal bei einer Runde Smash Bros, natürlich als Link.
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