Unser Test zu Cruis’n Blast
Anfangsverdacht: Wiederholungstäter
Es kommt sehr selten vor, aber hin und wieder macht sich ein komisches Gefühl in der Magengegend bei so manchem Testmuster breit: Man weiß, was einen aufgrund einer hässlichen Vorgeschichte trotz Verdrängung erwarten könnte, die Ansprüche sind vorsätzlich schon mal auf das Niveau „unterste Kellerstufe“ heruntergeschraubt worden und dennoch sitzt man hier, schweißgebadet und angsterfüllt… Angst und Panik darüber, ob sich in diesem Fall das absolut
unterirdische Level der Trashgranaten aus der N64-Ära wiederholt oder sogar noch zu unterbieten ist. Um vollumfänglich das ganze katastrophale Ausmaß der Serie zu begreifen, darf die Vergangenheit (leider!) nicht ruhen.
Cruis’n… Schrott!
Wir begeben uns auf eine Zeitreise ins Jahr 1994, wo das Renngeschehen der Cruis’n-Reihe ihren Ursprung nahm und in den Folgejahren zu einem ganz eigenartigen Aushängeschild von Trash-Racern wurde… es liegt die Vermutung nahe, dass dieses unsägliche Genre überhaupt erst durch die Cruis’n-Teile geboren wurde, denn um eine noch miesere Produktion im Mainstream allgemein und auf Nintendos 64-Bitter im Speziellen zu finden, muss man ganz schön lange
suchen…und man sucht heute noch. Soviel zur „Qualität“ der Serie.
Generell drängt sich die Frage auf, warum diese Serie (gerade in den 90ern und frühen 2000ern) so erfolgreich war. Der erste Teil der Serie, der 1994 in die Spielhallen und zwei Jahre später für die brandneue Heimkonsole N64 veröffentlicht wurde, trägt den Titel Cruis’n USA. Es durften also 14 bzw. elf (bei der N64-Version wurde nicht nur technisch, sondern auch inhaltlich ordentlich abgespeckt!) Trassen quer durch die Vereinigten Staaten unsicher gemacht werden. Den Fuhrpark als dürftig zu bezeichnen, ist eine schamlose Untertreibung. Gerade einmal vier (in Zahlen: 4!) Karren plus drei
versteckte Boliden buhlten um die Gunst der Spieler. Später gab es die ersten vier Startkarossen zwar in anderen Farben – welche man sich nicht selber aussuchen durfte – mit etwas mehr Wumms unter der Haube, aber sowas zählt nicht wirklich als brandneu erspieltes Gefährt.
Kurz und knapp: Die Streckenführung war bescheiden (eine uninspirierte Abfolge immer gleicher Links- und Rechtskurven), Pop-Ups direkt vor der Nase gab es bis zum Abwinken sowie eine Midi-Soundkulisse, die an unterdurchschnittliche 16-Bit Produkte erinnerte. Die beiden Nachfolger auf dem N64 litten ebenfalls an denselben Krankheiten, aber zumindest wurden noch ein paar alberne Gameplayelemente und immerhin ein vor sich hinruckelnder 4-Spieler-Modus implementiert.
Die folgenden Teile auf verschiedenen Game Boys und der Wii schenken wir uns lieber an dieser Stelle, qualitativ sind sie jedoch auch der Kategorie „Fehlzündung“ einzuordnen. So langsam sollte jedem klar sein, warum die Messlatte des Switch-Ablegers also noch niedriger ist als sonst schon beim Niveau-Limbo üblich. Und denkt nicht, dass die Reihe auf anderen Konsolen besser oder anders war, denn nur Nintendo-Spieler kamen exklusiv in diesen „Genuss“.
Neuauflage? Halbes Remake? Brandneu?
Der aktuellste Teil auf Nintendos Konsolenhybriden ist irgendwie eine Mischung aus allen drei Komponenten – was auf jeden Fall positiv hervorzuheben ist! Pop-Ups konnten während des Tests glücklicherweise keine ausgemacht werden und auch das Scrolling ist butterweich. Der Motorensound ähnelt sich jedoch sehr stark und die Hintergrundmusik erfüllt ihre Funktion und dudelt belanglos vor sich hin. Zumindest drängen sich die Synthieklänge und -melodien nicht
nervtötend in den Vordergrund. Asphalt zerstörende Wheelies, spektakuläre Stunts und Flips gehören hier zum Standardrepertoire und stehen inflationär zur Nutzung bereit. Leider spielen sich diese immer nach Schema F ab, sodass der aufmerksame Spieler bereits nach ein paar Runden die komplette Movepalette der Boliden zu Gesicht bekommen hat.
Aber dank einer recht üppigen Anzahl an freispielbaren Karren und neuen Championship-Cups ist dennoch eine motivierende Komponente für längeren Spaß vorhanden. Gut, die aufzudeckenden Secrets sind jetzt alles andere als kreativ versteckt oder besonders innovativ umgesetzt, aber wir wollen fair bleiben und nehmen das mal als positiven Anreiz mit.
Cruis’n Blast steht seit dem 14. September 2021 für 39,99 € im Nintendo eShop zur Verfügung, wahrleich kein Schnapper.
Alte Hasen und Fans der Reihe – ja, auch die soll es geben…bestimmt! – fühlen sich zumindest sofort heimisch und auch die ein- oder andere Abzweigung stellt eine willkommene Abwechslung dar. Auch sonst muss man Cruis’n Blast zugute halten, dass an allen Ecken und Kurven versucht wurde, möglichst viel aus dem Trashracer-Genre rauszuholen. Und das ist erstaunlich gut gelungen, denn Abwechslung wurde nicht ganz klein geschrieben und witzige Goodies – ihr könnt auch auf einen Helikopter oder Triceratops (!!!) im Fuhrpark nach Erwerb zurückgreifen – sind auch genug vorhanden. Also an Umfang und Gimmicks scheitert es schon mal nicht… viel wichtiger und unausweichlicher ist die Frage: Wie schneidet das Spiel im spielerischen Bereich ab?
Cruis’n Blast: Annehmbare PS unter der Haube
Es scheint fast so, als wäre der Titel ideal auf die technischen Möglichkeiten der Nintendo Switch zugeschnitten worden. Zumindest läuft alles erfreulich flüssig und beinahe jede Sekunde funkt und blinkt es um einen herum. Das lenkt zum einen von der sehr mäßigen Streckenführung ab, zum anderen sorgt es für ein trashiges C – Actionstreifengefühl.
Die Grafik verdient dabei eine gesonderte Erwähnung, denn sie ist nicht nur pfeilschnell, sondern dermaßen bunt und überladen, wie man es nur selten sieht. Würde man von den quietschbunten Neonfarbgebungen Karies bekommen können, wäre das Spielergebiss ein einziger Schrotthaufen. Ob die knallig-kräftigen Farben jetzt jedermanns Geschmack ist, sei mal dahin gestellt. Aber es verleiht dem Spiel eine ganz eigene Note, die es so zuvor noch nicht
gegeben hat… Ok, vielleicht schon mal irgendwann, irgendwo, aber dafür müsste man schon enorm lange suchen! Aufgrund der schieren Masse an Indie-Spielen werden diese bei vorangehendem Statement elegant ausgeklammert.
Kein Totalschaden
Es ist in Hinblick auf die bisherigen Serienteile fast schon eine kleine Sensation, aber es wurde tatsächlich aus den bisherigen, oftmals immer gleichen, Fehlern und eklatanten Schwächen gelernt! Denn bei Cruis’n Blast handelt es sich keinesfalls um einen weiteren Rohrkrepierer, sondern um einen annehmbaren bis gut gestalteten Fun-Racer, der sich nicht um Nebensächlichkeiten wie Schadensmodelle, Schwerkraft oder gar Innovationen schert, sondern einfach nur grundsolide ist und mit gutem Geschwindigkeitsgefühl daher kommt. Nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger. Und das hätte man der Geschichte nach nun wirklich nicht erwarten können.
Fazit zu Cruis’n Blast
Pros:
- Nimmt sich selbst nicht ernst
- Erfrischend-grelle Abwechslung
- Problemloser Einstieg
- Deutliche Steigerung zu den bisherigen Serientiteln
- Schnelle, flüssige Grafik
- Viel Freispielbares
Cons:
- Spielerisch im Westen nix Neues
- Allenfalls Durchschnittssound
- Komplett unrealistisches Fahrverhalten
- Langweilige Streckenführung
Es darf kein AAA-Titel und auch keine ernstzunehmende Konkurrenz zu vergleichbaren Programmen wie z.B. Burnout Remastered erwartet werden, aber mit Cruis’n Blast erwartet den Käufer zumindest stunden- bis tagelanger Spielspaß. Und das ist bei der Serie alles andere als selbstverständlich.
Freunden der bisherigen Teile und Gelegenheitszockern, die einfach nur ein paar entspannte Runden drehen wollen, kann man das Spiel trotz der Schwächen und der dämlichen und unfairen Gummiband-KI durchaus empfehlen. Nur keinen Hochglanz-Titel erwarten, dann dürften die Erwartungen auch nicht enttäuscht werden…uuuuuuund Abfahrt!
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