Dreamscaper – Traum oder Albtraum? [Test]

Am 13. August erschien das Roguelite-Action-RPG-Indie-Abenteuer Dreamscaper des kalifornischen Entwicklerteams Afterburner Studios für die Nintendo Switch. Bevor ihr jetzt gleich die Augen verdreht, weil das Genre so ausgelutscht ist wie der XXXl Wunderball, der euch vor ein paar Jahren hinter den Monitor gerollt ist, lest euch durch, was dieses Spiel für euch bereit hält. Da man gerne eine Sache mit einer anderen vergleicht, um Anhaltspunkte dafür zu bekommen, wo man die Sache einordnen kann, hier eine kurze Idee.

Nehmt den besten Vertreter des Roguelite-Action-RPGs, das einmalige Hades von SuperGiant Games (→ zum Test) und fügt die Ästhetik und allgemeine Stimmung von Life is Strange hinzu. Klingt vielversprechend? Nun, dann könnt ihr hier den Test dazu lesen und erfahren, ob das Spiel hält, was es verspricht. Viel Spaß!

Die Story von Dreamscaper

Das Bild zeigt einen Ort in der Wachwelt von Dreamscaper
Aller Anfang ist schwer. Cassidy traut sich hier zum ersten mal jemanden anzusprechen

Ihr spielt Cassidy, eine junge Frau aus einem kleinen Dorf irgendwo in der Pampa. Cassidy ist kürzlich in eine große Stadt gezogen und lebt nun in einem kleinen Apartment-Zimmer, doch tut sie sich schwer damit. neue Freunde zu finden. In ihrer Kindheit ist etwas schreckliches passiert, weshalb sie ziemlich in sich gekehrt ist und nur sehr langsam auftaut. Dieses Erlebnis Stück für Stück aufzudecken und bei der Verarbeitung zu helfen, ist die Aufgabe des Spielers.

Dreamscaper als Wort setzt sich aus dem englischen Begriffen für Traum (Dream) und der Endung -scaper zusammen. Diese lässt sich am leichtesten an den Begriffen Landscape (Landschaft) und Landscaper (Landschaftsarchitekt) erklären. Wenn man von -scape spricht, bezeichnet man üblicherweise den weiten Überblick über eine Ebene oder ein Gebiet, also einen Blick auf das Ganze, anstatt nur einen Ausschnitt davon. Daher ist das Wort Dreamscape mit Traumlandschaft übersetzbar, wobei gleichzeitig die Idee mit hineinspielt, sich über den Traum bewusst zu werden, also einen Überblick zu verschaffen. Und die Person, die das kann, ist ein Dreamscaper, also ein Traumarchitekt. Alleine dafür, dass die Entwickler sich wirklich gute Gedanken über den Titel des Spiels gemacht haben, gibt es von mir ein Däumchen. Umso besser, dass sie es auch noch geschafft haben, dieses Konzept hervorragend umzusetzen.

Das Gameplay

Das Gameplay von Dreamscaper unterteilt sich in zwei Abschnitte. Ihr habt die Träume, durch die ihr euch Nacht für Nacht kämpfen müsst, immer im Versuch, mehr über eure Vergangenheit zu erfahren und das damit verbundene Trauma zu verarbeiten. Und dann habt ihr die Tageszeit, bei der ihr die Stadt erkundet und versucht, soziale Kontakte zu knüpfen. Das Spiel versteht es hierbei, beide Spielabschnitte gut ineinander greifen zu lassen, sodass weder das eine, noch das andere zu kurz kommt.

Die Träume

Sicherlich werdet ihr mehr Zeit in der Traumwelt verbringen, als im Wachzustand. Cassidy ist eine sogenannte luzide Träumerin. Das bedeutet, dass Sie sich über die Geschehnisse des Traumes bewusst ist und darauf Einfluss nehmen kann – eine Fähigkeit, die tatsächlich häufig unter Gamern und Künstlern existiert. Ihr müsst euch durch sechs Ebenen kämpfen, die jeweils tiefer in euer Unterbewusstsein führen. Der Aufbau der Ebenen ist jeweils dem Zufall überlassen, wobei ihr mit fortschreitendem Spiel über bestimmte Punkte zusätzliche Räume und Verbesserungen freischalten könnt, die dann ebenfalls zufällig auf jeder Ebene erscheinen.

Das Bild zeigt die Minimap von Dreamscaper
Die Karte ist super übersichtlich und jeder Raum ist blitzschnell zu erreichen

Leider gibt es pro Ebene nur rund sechs unterschiedliche Raumdesigns, die sich dementsprechend teilweise mehrmals pro Ebene wiederholen. Das hätte meiner Ansicht nach eine etwas größere Auswahl benötigt, um die Immersion und Koordination zu verbessern. Dafür muss man dem Spiel die Minimap zugute halten, die alle liegen gebliebenen Items in den jeweiligen Räumen anzeigt. Man kann mit einem Knopfdruck auch sofort in jeden beliebigen Raum wechseln, um sich beispielsweise den hinterlassenen Heiltrank zu holen.

Das Kampfsystem

Am Ende jeder Ebene erwartet euch ein Boss, der eine bestimmte Furcht oder einen Drang zu Vergessen darstellen soll. Während die ersten zwei Bosse absolute Weicheier sind, kommt ihr ab dem dritten Boss vermutlich langsam ins Schwitzen. Interessanterweise könnt ihr die Bosse auch überspringen, wenn ihr sie bereits einmal erledigt habt. Dafür gilt der Run dann aber auch nicht als „bestanden“, solltet ihr es durchschaffen.

Das Kampfsystem ist erstaunlich abwechslungsreich. Neben starken und schwachen Angriffen habt ihr einen Fernangriff und zwei Traumfähigkeiten und könnt ausweichen. Es gibt eine riesige Auswahl an Ausrüstungsgegenständen, Traumangriffen und Buffs, die ihr finden und freischalten könnt. Jeder spielt sich ein klein wenig anders und hat auch noch einen Meisterschaftsgrad. Spielt ihr lange oder häufig genug damit, schaltet ihr einen Bonus für die jeweilige Ausrüstung frei. Potentiell habt ihr bei Dreamscaper also die Möglichkeit, immer einen komplett individuellen Run zu starten, wobei die Realität natürlich eher so aussieht, dass man eine Handvoll Lieblingsbuilds hat und lieber mit denen übt, endlich zum Endboss zu gelangen.

Das Bild zeigt die fünfte Ebene von Dreamscaper
Je tiefer ihr in euren Traum hinabsteigt, desto düsterer und gefährlicher wird eure Umgebung

Auf jeder Ebene könnt ihr pro Durchlauf auch eine Erinnerung über das jeweilige Gebiet finden. Dadurch erfahrt ihr mehr über Cassidys Vergangenheit. Außerdem findet ihr drei Ressourcen: Sand, Glas und Inspiration. Mit Sand könnt ihr im Shop der jeweiligen Traumebene bessere Ausrüstung und Buffs einkaufen. Glas und Inspiration benötigt ihr für die reale Welt, um neue Fertigkeiten und Waffen freizuschalten, sowie neue Geschenke zu erstellen.

Positiv anzumerken ist, dass ihr euch die Runs durch spezielle Faktoren vor Beginn des Runs schwieriger machen könnt, was natürlich im Gegenzug mit mehr Ressourcen belohnt wird. Außerdem könnt ihr eure Startausrüstung gezielt auswählen und somit beispielsweise gerade die Waffen nehmen, die kurz vor vollendeter Meisterschaftsstufe sind.

Der Alltag

Ihr werdet unweigerlich irgendwann im Traum das Zeitliche segnen. Dann wacht ihr auf. Als hübsches Detail ist anzumerken, dass Cassidys Apartment jeweils anders aussieht, wenn ihr zum ersten Mal eine Ebene geschafft habt. Das zeigt ziemlich eindrucksvoll, wie sich das Verarbeiten der Vergangenheit auf den Gemütszustand in der Gegenwart – und somit auf die Umgebung der Person – auswirkt.

Ziel in der wachen Welt ist es, mit ein paar NPCs Beziehungen aufzubauen. Durch Gespräche steigert sich euer Freundschaftslevel zur jeweiligen Person. Damit ihr jedoch neue Dialoge freischalten könnt, müsst ihr ihnen kleine, selbstgebastelte Geschenke machen. Hierfür solltet ihr jedes Mal, wenn ihr wieder wach seid, die paar Orte abklappern, die es auf der Karte gibt. Dort findet ihr ständig neue Ideen für Geschenke. Sowohl in den großen Dialogen, die ihr bei einem neuen Freundschaftslevel erhaltet, als auch bei kleinen Gesprächen zwischendurch erfahrt ihr außerdem manchmal spannende Hintergrundinformationen über die Vorlieben der Charaktere. Jedes Geschenk hat eine Anzahl Slots, die angibt, wie viele Personen eine Vorliebe dafür haben. Wenn jemand im Dialog also erwähnt, dass er Photographie liebt und ihr ihm Fotos schenkt, ist die Chance groß, dass ihr ins Schwarze trefft und dieser Gegenstand einen größeren Fortschritt zum nächsten Level bringt.

Das Bild zeigt einen Dialog aus Dreamscaper
Je mehr Geschenke man fremden Menschen gibt, desto mehr Freunde bekommt man. Genau wie im richtigen Leben!

Die Dialoge sind erfrischend natürlich. Kein gekünsteltes Storytelling, sondern einfach ein nettes Gespräch, mitten aus dem Leben gegriffen. Man redet über Wünsche und Zielsetzungen im Leben, über die Vergangenheit, über Hobbies, Kunst oder Reisen. Jeder Charakter hat etwas, das ihn antreibt und jeder geht auf seine Weise mit einem Verlust oder einem verfehlten Ziel um, während sie gleichzeitig dabei helfen, Cassidys Selbstwertgefühl und Sicherheit zu stärken.

Ich mach mir die (Traum)welt, widewidewie sie mir gefällt

Jeder dieser Freunde bietet euch außerdem für den Run einen passiven Bonus wie mehr Leben, bessere Abwehr, erhöhten Feuerschaden etc. Ihr könnt jedoch immer nur einen Freund pro Run auswählen.

An verschiedenen Orten in der Großstadt könnt ihr außerdem euer gesammeltes Glas verwenden, um die Traumwelt nach euren Wünschen anzupassen. Ihr könnt jeder Ebene zusätzliche Herausforderungsräume oder Rätsel hinzufügen, eure Startwerte für Leben und Energie etc. dauerhaft erhöhen, einen Bonus dafür freischalten, mehr Ressourcen zu finden (sehr wichtig) und vieles mehr. Wollt ihr in Dreamscaper alles freischalten, habt ihr echt einige Spielstunden vor euch.

Diese ganzen Upgrades sorgen in erster Linie dafür, dass ihr etwas mehr Kontrolle über die Spielwelt bekommt. Viele der Räume, die ihr hinzufügen könnt, enthalten Upgrades für den aktuellen Lauf. Manche Punkte verbessern die Seltenheit der Items im Shop oder in Kisten. Während die ersten paar Kampfrunden wirklich zäh und langatmig wirkten, nimmt das Spiel nach ein paar Stunden richtig Fahrt auf. Nicht nur will man „noch eine Runde“ zocken, um zu versuchen, dieses Mal den vermaledeiten Boss zu erledigen, sondern man will genauso gerne noch genügend Ressourcen finden, um die Welt anzupassen und die Freundschaften zu vertiefen. Dem Entwicklerteam ist hier wirklich gelungen, beide Teile des Spiels gleichermaßen interessant zu machen.

Die Präsentation

Dreamscaper ist grafisch mittelmäßig. Der weichgezeichnete Stil, der alles in wässrigen pastellfarben hält, ist atmosphärisch stimmig und erinnert stark an Life is Strange. Jedoch ist das Gegner- und Charakterdesign klobig und langweilig. Die Figuren haben keine Gesichter, was der Stimmung ebenfalls nicht abträglich ist und gleichzeitig wieder an Träume erinnert, bei denen man sich auch häufig nicht an Gesichter erinnert.

Genauso wässrig wie die Grafik, ist die musikalische Untermalung. Auch hier fühlt man sich an Life is Strange erinnert. die Musik ist eine Mischung aus Lo-Fi-Akustik mit leichter Untermalung klassischer Instrumente. Nichts davon bleibt lange im Ohr, es plätschert vor sich hin. Für die Kämpfe finde ich die Musik zu langweilig, zumal es viel zu wenige Tracks gibt. Der Soundtrack ist per se nicht schlecht, nur eben nichts, was ich nebenbei einschalten würde.

Technisch muss man den Entwicklern zugute halten, dass sie an einen Performance-Modus gedacht haben. Dieser reduziert die Grafikqualität ein wenig, um das Spiel konstant bei 60 FPS zu halten. Faktisch ist das auf der Switch aber nicht nötig. Ich habe nur selten krasse Framedrops erlebt. Kürzere Ladezeiten zwischen den verschiedenen Ebenen wären mir da schon lieber. Es vergeht gerne eine halbe Minute, wenn man einen neuen Traum startet oder in die nächste Ebene hinabsteigt. Diese werden offenbar vollständig im Voraus geladen, da das Wechseln zwischen den Räumen keinerlei Verzögerung hat. Das ist wiederum ein Pluspunkt.

Allgemeines

Die Steuerung ist angenehm und überwiegend genau. Jede Waffe hat für den Standardangriff eine Kombo, die ihr perfekt timen könnt, um zusätzlichen Schaden zu machen. Das ist leichter gesagt, als getan, aber Übung macht bekanntlich den Meister. Lediglich die normale Bewegungsgeschwindigkeit finde ich viel zu langsam. Je weiter ihr voranschreitet, desto mehr Prozentpunkte gibt es zwar auf die Geschwindigkeit, aber das ist immer noch enttäuschend Fußlahm. Auch ist das Balancing mancher Skills nicht so ausgereift. Es gibt beim Ausweichen beispielsweise einen Seitwärtssalto, der extrem langsam animiert ist und einen kaum aus der Gefahrenzone bringt. Ein anderes paar Schuhe hingegen zieht euch per Knopfdruck fast ans andere Ende des Bildschirms und hinterlässt gleichzeitig einen brennenden Boden. Hier fällt die Wahl wirklich nicht schwer.

Unser aller bester Freund „Google“ half hier wohl bei der Übersetzung dieser Fähigkeitsbeschreibung

Ein letzter Kritikpunkt ist die Übersetzung. Es ist halt ein kleines Indie-Team, da will ich nicht groß meckern. Dennoch sind mir Übersetzungsfehler aufgefallen, welche die Story bzw. den Kontext schwer verständlich machen. Wenn „After my Sister… Anyway, we weren’t the same anymore…“ mit „Nach meiner Schwester… “ anstatt „Nachdem meine Schwester…“ (was aus dem Kontext ersichtlich wird) übersetzt wird, kann es für ungeübte Leser oder weniger Kontextsichere schnell holprig werden.

Mein Fazit zu Dreamscaper

Pros:

  • Tolles Kampfsystem
  • Riesige Auswahl an Waffen, Fähigkeiten und Upgrades
  • Herzerwärmende, ehrliche Dialoge
  • Eine rundum stimmige Welt

Cons:

  • Einige Übersetzungsfehler in der deutschen Version
  • lahmes Gegnerdesign
  • Zu wenig Abwechslung in den Räumen

Dreamscaper ist ein schönes Spiel, das lässt sich nicht abstreiten. Die Entwickler haben sich Gedanken gemacht, wie Sie die Themen Depression und Schuldgefühle in ein aufregendes und doch entspanntes Szenario stecken können und das ist ihnen gelungen. Die Abwechslung zwischen der actionreichen Traumwelt und der ruhigen Welt des Alltags ist angenehm und macht Lust auf mehr.

Jedoch machen Übersetzungsfehler in der deutschen Version dem Verständnis manchmal einen Strich durch die Rechnung und die geringe Abwechslung an Räumen pro Ebene stört ein wenig den Gesamteindruck. Wer auf tiefgehende Erzählungen und Roguelite-Gameplay steht, der macht mit dem Titel definitiv nichts falsch.

Das Testmuster wurde uns von Stride PR zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!

Über Roger Hogh 750 Artikel
Baujahr 1987, begann bereits als Zwerg mit einem Sega Master System II zu zocken, der einzigen Nicht-Nintendo-Konsole, die er je besessen hat. Begeisterter Fan von guten Metroidvanias und The Legend of Zelda. Überwiegend Einzelspieler, aber man findet ihn gerne mal bei einer Runde Smash Bros, natürlich als Link.

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