Ori and the Will of the Wisps – Ein Meisterwerk!

Der einzige Grund, weshalb Ori and the Will of the Wisps für die Nintendo Switch keine 10 / 10 Punkten erreicht hat, ist, dass es ca. jede Stunde abstürzt. Ich wiederhole: das ist der einzige Grund.
Wer jetzt noch wissen möchte, weshalb der Titel für mich das Spiel des Jahres ist, liest bitte weiter.

Ori und der Wille der Irrlichter

Das ist die korrekte Übersetzung des Titels. Nach ungefähr einem Drittel des Spiels lernt man überhaupt, was es mit den Irrlichtern auf sich hat, doch den vollen Sinn des Titels erkennt man erst mit der Endsequenz.

Ich bin ja normalerweise nicht so nah am Wasser gebaut. Wenige Titel schaffen es, bei mir andere Emotionen als Frust oder Begeisterung hervorzurufen. Ich denke, das liegt auch daran, dass viele Storywriter sich selbst mit dem Ausdrücken von Emotionen zurückhalten. Oftmals findet man auch bei tragischen Augenblicken schnell entweder eine überspitzte Darstellung, eine zu emotionslose Darstellung, oder eine zu schnelle Ablenkung durch einen dummen Spruch oder irgendetwas anderes, was wortwörtlich die Stimmung versaut.

Moon Studios halten sich nicht zurück. Sie schlagen mit voller Wucht zu, halten drauf und man leidet einfach mal mit. Sämtliche Wahrnehmungen werden ausgenutzt, um die größtmögliche Dramatik zu erzielen – und als Ergebnis bekomme ich feuchte Augen, wenn ich nur ans Ende denke. Das ich während des Schreibens den phänomenalen Soundtrack im Hintergrund laufen lasse, macht es sicherlich nicht einfacher.

Das Bild zeigt Ori und Ku beim Ausflug im Intro zu Ori and the Will of the Wisps
Der erste Ausflug von Ori und Ku ist wunderschön in Szene gesetzt

Es beginnt dort, wo Ori and the Blind Forest aufgehört hat. Die kleine Eule Ku wächst mit Ori und der Familie auf. Ori und Ku sind beste Freunde und machen einen Ausflug, doch leider stürzen sie über dem stillen Wald ab und werden voneinander getrennt. Ab hier beginnt eine Reise, die erst dazu führt, die beiden Freunde wieder zu vereinen – und dann doch so viel mehr von Ori abverlangt, als man erwartet. Mehr möchte ich nicht verraten. Ihr solltet es unbedingt selbst erleben.

Für all jene, die hebräisch beherrschen hier noch eine kurze Frage: Stimmt es, dass Ori auf hebräisch mit „Mein Licht“ übersetzt wird?

Das Gameplay

Wer Ori and the Blind Forest gespielt hat, wird gleich zu Beginn den größten Unterschied feststellen – Ori kämpft diesmal selbst! Eure erste erlernte Fähigkeit ist die Geisterklinge, mit der ihr fortan schnell zuschlagen und die Gegner dezimieren könnt.

Ein Wort zur Schwierigkeit: Vor ziemlich genau einem Jahr, am 08. Oktober 2019, habe ich mich im Test zu Ori and the Blind Forest mächtig darüber aufgeregt, dass der Titel nicht so schwer sei wie behauptet, da man vom Sterben nicht bestraft wird wie beispielsweise bei Hollow Knight oder Soulslike-Spielen. Man stirbt halt und muss die gleiche Passage noch einmal probieren, bis man sie geschafft hat.

Das hat sich hier nicht geändert. Tatsächlich finde ich Ori and the Will of the Wisps noch einfacher als den Vorgänger, da es nun automatisch nach jeder erfolgreichen Sprungpassage speichert. Selbst Bosskämpfe mit mehreren Phasen beleben den Spieler am Beginn der jeweiligen Phase wieder, statt ihn den gesamten Kampf von vorne bestreiten zu lassen. Persönlich mag ich es lieber schwieriger, aber da ich dieses Mal damit gerechnet hatte, war ich nicht überrascht. Einige der Fluchtpassagen und speziell einige der Geisterprüfungen, bei denen man gegen einen Geist ein Rennen von A nach B gewinnen muss, sind ganz schön knackig, aber nichts davon baut wirklich Frust auf.

Fähigkeiten

Das Fähigkeitensystem ist stark ausgebaut worden. Insgesamt erlernt ihr 12 Fähigkeiten, von denen manche zur Fortbewegung, andere zum Angriff verwendet werden können. Einige Fähigkeiten aus dem ersten Teil, wie der Stoßangriff und der Lichtstrahl, sind ebenfalls wieder mit von der Partie. Andere wiederum sind komplett neu.

Mit dem Stoßangriff könnt ihr euch von Projektilen und Gegnern abstoßen – und diese damit auch treffen oder in Stacheln schubsen

Leider muss ich sagen, dass sich mir der Sinn mancher Fähigkeiten nicht so recht erschließen möchte. Zugegeben, ich habe sie nicht auf der vollsten Stufe ausprobiert, aber es gibt z.B. einen Wurfstern, der in gerader Linie geworfen werden kann und so Schaden verursacht. Dieser fällt allerdings verhältnismäßig sehr gering aus. Sobald man genügend Energiezellen besitzt, kommt man eigentlich um den Stachel, ein riesiger Lichtspeer, nicht herum, da dieser wirklich kurzen Prozess mit allem macht.

Der Stachel ist die erste Wahl, wenn man sich mit einem Boss anlegen möchte

Ihr habt bei Ori and the Will of the Wisps diesmal drei Knöpfe zur Auswahl, die ihr frei mit euren Fähigkeiten belegen könnt. Manche der erlernten Fähigkeiten werden automatisch bestimmten Knöpfen wie den Schultertasten zugewiesen und dienen überwiegend der Fortbewegung, zwischen den anderen könnt ihr nach Belieben oder Notwendigkeit wechseln. Für mich hat es sich bewehrt, die Heilung die meiste Zeit auf X zu belassen. Für eine Energiezelle heilt ihr jeweils drei Lebenszellen. Ihr werdet diese Fähigkeit ständig brauchen.

Geistersplitter, Geisterlicht, Energie- und Lebenszellen

Wie es sich für ein gutes Metroidvania gehört, gibt es hinter jedem Busch etwas zu entdecken, oftmals erst, nachdem ihr eine bestimmte Fähigkeit erlernt habt und zu diesem Ort zurückgekehrt seid.

Eure „Währung“ in diesem Spiel ist das Geisterlicht. Überall in der Welt sind Geisterlichtkugeln verteilt, welche euch unterschiedliche Mengen Geisterlicht auf einmal geben. Außerdem lassen Gegner dies häufig fallen, wenn ihr sie besiegt habt. Hiervon könnt ihr euch neue Fähigkeiten, neue Geistersplitter und Upgrades für eben diese kaufen. Ich hab mal hochgerechnet – wenn ihr euch die Extras beim Kartographen (alle Lebenszellen, alle Geistersplitter und alle Energiezellen anzeigen lassen) spart, reicht es, alle Geisterlichter einzusammeln, alle Geisterprüfungen zu beenden einfach die Gegner zu plätten, um alles freizuschalten. Der Grind ist tatsächlich nur nötig, wenn ihr diese zusätzlichen Extras kaufen wollt – was sich nicht lohnt, da ihr mit Beenden einer Nebenquest ohnehin alle Sammelobjekte auf der Karte angezeigt bekommt. Spart euch also die Lichter.

Energiezellen benötigt ihr, um viele von Oris Fähigkeiten zu verwenden. Manche Fähigkeiten benötigen nur den Bruchteil einer Energiezelle, andere verbrauchen gleich mehrere Zellen auf einmal. Ihr findet überall in der Welt jeweils halbe Energiezellen. Sobald ihr also zwei Hälften habt, erhaltet ihr eine weitere Energiezelle permanent hinzu. Eure verbrauchte Energie könnt ihr durch blaue Kristalle wieder auffüllen, die ihr häufig in der Welt trefft. Außerdem lassen manche Gegner welche fallen.

Lebenszellen sind ebenfalls überall in der Welt verteilt. Findet ihr zwei davon, erhaltet ihr einen weiteren permanenten Lebenskristall. Auch hier trifft zu, dass manche Angriffe oder Fallen Ori mehr als einen Schadenspunkt machen können. Deshalb ist die Heilfunktion auch so praktisch.

Gorlek-Erz und Samen

Eine tolle Neuerung in Ori and the Will of the Wisps sind die Nebenaufgaben, welche glücklicherweise zur allgemeinen Stimmung und Situation des Spiels passen. Man versucht Stück für Stück, wieder Leben in den Wald zu bekommen. Ihr erreicht relativ früh im Spiel an einer Lichtung, wo euch ein weißmähniger Gorlek, der auch als Mini-Leune aus The Legend of Zelda: Breath of the Wild durchgehen würde, darum bittet, Gorlek-Erz zu beschaffen, damit er die Lichtung weiter ausbauen kann. Nach und nach könnt ihr so immer neue Häuser und Gebiete der Lichtung betreten und trefft auch auf viele der Waldbewohner, denen ihr unterwegs geholfen habt. Das ist ein echter Hoffnungsschimmer in dieser sonst ziemlich deprimierenden Stimmung.

Gemeinsm mit Gorlek bringt ihr die Lichtung wieder auf Vordermann

Ebenfalls auf der Lichtung lernt ihr Tuley kennen. Das ist ein alter Gärtner, der aus seinem Haus an Baurs Spitze fliehen musste, weil es zu kalt wurde und dort nichts mehr wuchs. Auf der Lichtung versucht er sich ein neues Heim einzurichten und bittet euch, ihm die Samen zu bringen, die ihr unterwegs findet. Diese verschönern ebenfalls hauptsächlich die Lichtung, doch gibt es einen Samen, der wirklich nützlich für euch ist. Es lohnt sich also, danach Ausschau zu halten.

Eine riesige Fetch-Quest

Zu guter Letzt gibt es noch eine riesige Fetch-Quest, die sich quasi das ganze Spiel hindurch erstreckt. Die kleinen Waldwesen namens Moki bitten immer wieder um irgendeinen Gegenstand. Moki 1 möchte einen Fangzahn, Moki 2 einen Hut, Moki 3 ein Stück Schnur oder was auch immer. Jeder gibt euch etwas zum Tausch, sodass ihr daraufhin den nächsten Moki suchen müsst, der diesen Gegenstand benötigt. Falls ihr wissen wollt, wie ihr diese Quest abschließen könnt, verrate ich euch dies im Spoiler-Kasten. Das ist nur fair, denn ich habe im Spiel keinen Hinweis dazu entdeckt, wie man von alleine darauf kommen sollte:

Spoiler

Speziell das vorletzte Item ist tricky. Ihr erhaltet ein Fernrohr – dies müsst ihr Motay geben. Der gibt euch dann eine Feldflasche mit der ihr zu dem Gorlek in der Wüste müsst. Ihr erhaltet zum Abschluss ein Stück steinerne Karte. Damit müsst ihr in den Gorlek-Tempel in der Wüste und ganz unten links in die Ecke – direkt hinter der Statue, aus der ihr das Herz des Waldes erhalten habt. Platziert es dort und ihr könnt ab sofort sämtliche Sammelgegenstände auf eurer Karte sehen. Das ist ideal, um die 100 % zu erreichen und spart euch eine Menge Geisterlicht beim Kartographen).

[Einklappen]

Technisches

Ori and the Will of the Wisps ist hervorragend portiert worden und das Team der Moon Studios darf sich wirklich auf die Schulter klopfen. Grafisch gibt es fast keine Abstriche zum Original, es läuft konstant mit butterweichen 60 FPS und hat nur selten minimale Einbrüche.

Speziell gibt es nur einen richtigen Kritikpunkt, den ich eingangs schon erwähnte: das Spiel stürzt im Schnitt jede Stunde einmal ab. Gott sei Dank wurde das Speichersystem komplett überarbeitet. Statt wie im Vorgänger immer an bestimmten Punkten zu speichern, speichert Ori and the Will of the Wisps quasi jedes Mal, nachdem man wieder festen Boden unter den Füßen hat oder einen Gegner besiegt hat.

Nachdem ich den ersten Boss besiegt hatte, stürzte das Spiel direkt ab. Vom Start der Software bis zum Weiterspielen vergehen jedes Mal rund drei Minuten. Dafür startete ich in diesem Fall direkt wieder an der Stelle, wo der Boss das Zeitliche segnete und ich erhielt auch die Belohnungen des Kampfes. Bis auf drei verlorene Minuten stört dieses Abstürzen also nicht weiter.

Wenn man ein neues Gebiet betritt, sei es zum ersten Mal, oder weil man durch die Schnellreise dorthin teleportiert ist, kann es sein, dass man sich mit den Fähigkeiten schneller bewegt, als die Switch nachladen kann. Dadurch kann man aus dem Bildschirm heraus kommen und hin und wieder mal „im Boden“ platziert werden. Schlimmstenfalls müsst ihr kurz das laufende Spiel beenden und neu laden, doch meist platziert er euch doch noch an die richtige Stelle.

Abgesehen von diesen Kleinigkeiten gibt es keinerlei technischen Mängel. Bravo!

Ori and the Will of the Wisps – Das Fazit

Pros:

  • Eine packende, melancholische Story mit einem grandiosen Ende
  • Ein ausgezeichneter, stimmungsvoller Soundtrack aus der Feder von Gareth Coker
  • Eine präzise, flüssige, sich natürlich anfühlende Steuerung, die sofort in Fleisch und Blut übergeht
  • Eine riesige, abwechslungsreiche, lebendige Welt zum Erkunden, samt einer Vielzahl Sammelobjekte für ausreichend Motivation, genau dies zu tun.

Cons:

  • Das Spiel stürzt regelmäßig ab
  • Hin und wieder kommt es mit dem Laden eines neuen Gebietes nicht schnell genug hinterher
  • Durch konstant automatisches Speichern und keinerlei Verlust beim Ableben recht leichter Schwierigkeitsgrad

Ori and the Will of the Wisps ist fast so etwas wie das perfekte Spiel für mich. Es ist fesselnd, es sieht hervorragend aus und man hat sofort das Gefühl, als verschmelzt man mit dem Controller und lenkt Ori nur mit seinen Gedanken, so gut fühlt sich die Steuerung an. Es gibt viel im Spiel zu entdecken, einen Haufen Sammelobjekte zu finden und man ist für einen normalen Durchlauf mit 100% locker 15 Stunden beschäftigt. Ich habe 16:27 h benötigt. Manche sind sicher schneller, andere brauchen garantiert länger. Nur weil der Titel für mich keine große Herausforderung war, heißt das nämlich nicht, dass jeder das so empfinden wird. Wer schnell frustriert wird, hat definitiv länger was vom Spiel.

Moon Studios haben hervorragende Arbeit mit dem Port geleistet, welche lediglich durch regelmäßige Abstürze etwas geschmälert wird. Dafür kann man dank des Autosaves direkt dort weitermachen, wo man aufgehört hat. Jeder, der Metroidvania als Genre mag, darf sich diesen Titel nicht entgehen lassen. Das Spiel gehört jedoch auch abseits von Genre-Präferenzen in jede Sammlung!

Wer sich jetzt noch immer nicht überzeugen lies, kann sich immerhin mein Let’s Play dazu anschauen. Hier geht’s zur Playlist.

Das Testmuster wurde uns von Swordfish PR zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!

Über Roger Hogh 750 Artikel
Baujahr 1987, begann bereits als Zwerg mit einem Sega Master System II zu zocken, der einzigen Nicht-Nintendo-Konsole, die er je besessen hat. Begeisterter Fan von guten Metroidvanias und The Legend of Zelda. Überwiegend Einzelspieler, aber man findet ihn gerne mal bei einer Runde Smash Bros, natürlich als Link.

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