Ori and the Blind Forest Definitive Edition [Test]

Ori and the kurze Einleitung

Dieser Test wird vermutlich etwas anders ausfallen, als ihr erwartet, deshalb fasse ich hier schon einmal kurz meinen Standpunkt zusammen:

Das Spiel ist atemberaubend schön und atmosphärisch, aber das allein reicht nicht aus.
Ich weiß, Ori wurde und wird überall mit Lob überschüttet und ich kann die Ansichten auch vollkommen nachvollziehen, möchte hier aber meinen subjektiven Senf hinzugeben, denn ich finde, man hätte mehr aus dem Spiel machen können. Warum, lest ihr in diesem Test.

Ori and the herausragende Portierung

Da Ori schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, fangen wir mit dem wichtigsten Punkt an: Wie gut ist die Portierung des Spiels für die Nintendo Switch?

Das lässt sich zum Glück leicht und ausnahmslos positiv beantworten. Der Port ist eine Wucht! Es mussten kaum Details heruntergeschraubt werden, es läuft mit butterweichen 60 Frames pro Sekunde und ruckelt zu keiner Zeit. Es sieht angeblich etwas heller aus als auf den anderen Konsolen, das kann ich als Switch-only-Spieler aber nur vom Hörensagen so weitergeben. Der Soundtrack ist sehr atmosphärisch und läuft natürlich, während ich diese Zeilen hier verfasse, nebenher, um das richtige Feeling zu vermitteln.

Da es die Definitive Edition ist, sind alle Inhalte wie zusätzliche Gebiete, zusätzliche Fähigkeiten, Schnellreisen und zusätzliche Schwierigkeitsstufen enthalten.

Ori and the zu knappe Story

So gut wie jeder, der von dem Spiel gehört hat, wird auch davon erfahren haben, wie unglaublich emotional mitreißend der Beginn des Abenteuers ist. Ich möchte hierzu nicht zu viel verraten, aber die ersten fünf Minuten hätten kaum trauriger dargestellt werden können.

Von diesem ersten Trauma erholt, begibt sich Ori auf die Reise und findet schon bald ein kleines Licht namens Sein, welches Teil der Seele des Geisterbaumes war. Aufgabe Seins und seiner Freunde war es, Ori zu finden und das Lebenslicht wieder im Baum zu entfachen. Der ganze Wald scheint abgestorben zu sein, weil Ori sich vom Baum gelöst hatte… oder so. Genau wird das anfangs nicht erklärt. Im Verlaufe des Spiels erfährt man dann von einem großen, bösen Vogel namens Horu, der dem Baum sein Lebenslicht gestohlen und die Misere damit in Gang gesetzt hat. Über dessen Motivation verrate ich euch an dieser Stelle ebenfalls nichts. Eure Aufgabe ist es jedenfalls, drei Elemente zu finden und in die dazugehörigen Tempel zu bringen, um das Gleichgewicht und Leben wiederherzustellen.

Horu ist wirklich gut in Szene gesetzt worden

Versteht mich nicht falsch. Die Story ist an sich schön erzählt, es gibt vereinzelte, prächtig animierte Zwischensequenzen, die tiefe Gefühle vermitteln, aber es wirkt auf mich einfach zu… wenig? Das Problem hierbei ist vermutlich, dass der Wald quasi vollständig abgestorben ist, mal von ein paar Schattenkreaturen abgesehen, die als Feinde dienen, d.h. es findet überhaupt kein Dialog statt. Sein erzählt an verschiedenen Punkten etwas über die Hintergrundgeschichte und der große, brummende Baum funktioniert ebenfalls zwischendurch als Erzähler, der in knappen und poetischen Worten die Geschichte vermittelt. Das ist schön gemacht, aber wirkte auf mich ein wenig zu spärlich.

Ori and the tolle Spielmechaniken

Bevor ich mich noch einmal richtig aufrege, möchte ich hier den Kern des Spiels in aller Ausführlichkeit loben: Es spielt sich einfach toll.

Die Steuerung geht einem sofort in Fleisch und Blut über. Die vielen Fähigkeiten, insgesamt elf, sind äußerst präzise und leicht zu erlernen. Jede wird ausgiebig benötigt, um voranzukommen und alle Geheimnisse zu entdecken. Diese Fähigkeiten sind der Hauptgrund, weshalb ich das Spiel gleich noch einmal auf schwer gestartet habe – es macht einfach Spaß, sich durch die bildhübsche Spielwelt zu bewegen. Mit jeder Fähigkeit wird es einfacher und ich habe ein paar Abkürzungen gefunden, die dank der Fähigkeiten Sprint und Lichtball (oder so) ursprünglich sicher nicht so geplant waren. Spaßeshalber werde ich mir demnächst noch einen Speedrun des Spiels ansehen und mich danach vermutlich in Demut über meine mickrigen Fähigkeiten üben.

Es gibt eine Menge zu entdecken und zu erlernen

Ihr beginnt das Spiel ohne Energiekristall, findet aber den ersten, bevor es nötig wird zu speichern. Insgesamt sind 15 davon in der Welt zu finden. Ihr benötigt die blaue Energie zum Einen, wie erwähnt, zum Speichern und zum Anderen für die Stichflamme, eine aufgeladene Attacke von Sein. Wenn ihr die Lichtball-Fähigkeit freischaltet, könnt ihr die Energie auch als zeitzündende Bombe werfen.

Zu Anfang habt ihr drei Lebenskristalle. Auf „Normal“ schaden euch Gegner anfangs nur einen Kristall pro Treffer, doch das erhöht sich relativ schnell. Auf „Schwer“ erhaltet ihr generell erst einmal doppelten Schaden. Insgesamt könnt ihr zwölf zusätzliche Lebenskristalle auf der Welt finden.

Darauf werdet ihr am Häufigsten stoßen

Getötete Gegner hinterlassen Geisterlicht, was quasi eure Erfahrungspunkte darstellt. Außerdem findet ihr überall auf der Karte Geisterlichtgefäße, die euch jeweils einen größeren Schub zum nächsten Fähigkeitenpunkt geben. Zu guter Letzt gibt es auch ganze Fähigkeitenzellen zu finden, insgesamt 33 davon. Diese sind auch dringend nötig, denn der Skilltree von Ori sollte nicht ignoriert werden.

Ihr seht, es gibt eine Menge Punkte freizuschalten

Der Fähigkeitenbaum ist in drei Abschnitte eingeteilt. Der Untere ist für stärkere Angriffe aller Art. Der obere Abschnitt verbessert den Energieverbrauch bei Fähigkeiten und gibt tatsächlich hilfreiche Fähigkeiten wie „Sprint kann auch in der Luft durchgeführt werden“ hinzu. Der Mittlere bezieht sich auf die Map und allgemeine Eigenschaften. Hiermit könnt ihr Gegenstände automatisch einsammeln, erhaltet mehr Energie oder Geisterlicht oder seht mehr und mehr der versteckten Gegenstände auf der Karte.

Gerade weil die Steuerung so intuitiv und präzise ist, fühlte ich mich geradezu herausgefordert, alles aus dem Spiel herauszuholen, jeden Stein umzudrehen und alle Collectibles einzusammeln. Leider ging das etwas schneller als erwartet, aber dafür bin ich in dem Genre auch einfach geübter als in den meisten anderen. Die normale Spielzeit wird auf ca. 15 Stunden angesetzt, mit 11:19 liege ich also gut drunter. (Ein kurzer Blick auf YouTube zeigt mir, dass ein 100% Speedrun, ein Leben, ohne Glitches in etwas über zwei Stunden schaffbar ist und schon übe ich mich wieder in Demut)

Ori and the nicht vorhandene Schwierigkeitsgrad

Das Spiel ist zu leicht.

Es gibt die drei Schwierigkeitsgrade: „Leicht“, „Normal“ und „Schwer“, sowie einen 1-Leben-Modus für Spieler mit zu viel Zeit.

Ich habe das Spiel zuerst auf „Normal“ durchgespielt und dann auf „Schwer“ erneut begonnen, um zu sehen, welchen Unterschied es macht. „Schwer“ bedeutet lediglich, dass alle Dinge mehr Schaden machen und man für Fähigkeiten mehr Fähigkeitspunkte benötigt. Möchte man das Spiel auf „Schwer“ mit 100% abschließen, wird man um ein gewisses Grinden nicht herumkommen. Auf „Normal“ hatte ich am Ende fünf oder sechs Fähigkeitspunkte über, die ich nicht mehr verwenden konnte. Ich möchte gar nicht dran denken, wie leicht „Leicht“ sein soll, weil mir nicht in den Sinn kommt, wie das Spiel noch leichter als „Normal“ sein könnte.

Lasst mich erläutern: Das Spiel steht und fällt mit seinen Fähigkeiten und mit dem Speichersystem. Zu Beginn, als quasi neugeborener Zwerg ohne Fähigkeiten und gerade so in der Lage zu hüpfen, sind die Gegner vielleicht noch bedrohlich. Man braucht eine gefühlte Ewigkeit, sich ihrer zu entledigen, denn das Geisterlicht kitzelt bestenfalls ein wenig. Ihr werdet anfangs hauptsächlich aus zwei Gründen sterben:

  1. Ihr kennt die Angriffsmuster der Gegner noch nicht
  2. Ihr versagt bei den Plattformingpassagen

Ein paar Spielstunden und einige Fähigkeiten später sieht das Ganze schon anders aus. Da es nicht gerade viele Gegnertypen gibt, wisst ihr die Angriffsmuster bald auswendig. Sobald ihr die Stampfattacke beherrscht, sind alle Gegner lächerlich einfach zu besiegen. Was ihr nicht tötet, könnt ihr mit der Stoßattacke aber auch einfach umgehen. Sobald ihr diese Fähigkeit erlernt und den Umgang damit gemeistert habt, gibt es keinen Gegner mehr, der euch noch etwas anhaben könnte. Ein Stoß und ihr fliegt an ihm vorbei in die Richtung eurer Wahl, während er in die andere Richtung fliegt, bevorzugt natürlich in Stacheln hinein. Oder ihr feuert damit sein Projektil auf ihn zurück. Diese Fähigkeit zieht jedem Gegner seinen Stachel und dem Spiel die Schwierigkeit. Es bleibt lediglich die Möglichkeit, dass ihr bei Plattformingpassagen versagt, weil ihr den Sprung nicht korrekt bemessen habt oder aus Versehen in ein Projektil gesprungen seid. Aber das macht ja nichts, denn der Tod hat in diesem Spiel keine Bedeutung.

Eine von vier Fluchtsequenzen. Ihr WERDET Sterben. Oft

Was meine ich damit? Ganz einfach – dank der Fülle an Energiezellen, die ihr findet, könnt ihr vor jeder noch so kleinen Schwierigkeit speichern. Sterben wird somit absolut bedeutungslos, da kein Backtracking nötig ist. Ich ziehe ungern Vergleiche, aber ziehen wir doch einmal Hollow Knight und Guacamelee! 2 heran, die beide anders mit dem Tod umgehen:

Guacamelee! 2 hat fair verteilte Speicherpunkte. Nicht direkt vor jeder Schwierigkeit, aber an diversen Kreuzungen und nach den meisten schwierigeren Kämpfen. Ihr dürft durchaus die eine oder andere schwierige Passage wiederholen, falls ihr das Zeitliche segnet, was für den einen oder anderen Frustmoment sorgen kann.

Hollow Knight zeigt meiner Meinung nach, wie es richtig geht. Es gibt auf der gesamten Map relativ wenige Bänke verteilt, an denen ihr Speichern könnt. Klar, ihr könnt Speichern und Beenden, werdet dadurch aber auch wieder zur letzten Bank zurück gebracht. Die Plattformpassagen sind vereinzelt recht knackig, aber vor allem treibt euch der Tod aus einem anderen Grund den Schweiß auf die Stirn – ihr seid verwundet. Euer ganzes Geld bleibt bei dem Geist, den ihr hinterlasst, und solange ihr den Geist nicht wieder eingesammelt (d.h. besiegt) habt, verfügt ihr nicht über euer volles Ausmaß an Seelenenergie. Ihr habt manchmal die letzte Bank vor zehn Minuten gesehen. Wenn ihr nicht gerade die Map des Gebietes gekauft habt oder auswendig kennt, wisst ihr evtl. gar nicht, wie ihr wieder zu dieser Seele zurückfindet. Das gibt dem Ableben im Spiel Gewicht und sorgt für schwitzige Hände und sicherlich eine Menge Frust.

Und was macht man bei Ori? Vor der Hüpfpassage speichern, ein paar Mal währenddessen abkratzen – und ja, das wird definitiv 5, 10, 20 Mal an manchen Stellen passieren, aber wen kümmert das schon? – Und wenn man es geschafft hat, gleich wieder speichern. Fertig. Ich weiß, dass die Schwierigkeit von Hollow Knight nicht jedermanns Geschmack ist und dass sich viele Spieler auch gerne mal ein einfacheres Spiel wünschen, aber diese Speicherfähigkeit nimmt Ori leider jede Hürde und macht auch die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade zunichte, denn der Tod hat absolut keine Konsequenzen, es sei denn, man hat wirklich das Pech und ist gerade ohne Energie unterwegs, was aber nur selten der Fall ist.

Es folgt ein SPOILER ÜBER WICHTIGE SZENEN DES SPIELS! Draufklicken auf eigene Gefahr!

Spoiler

Sogar der tragische Tod Narus gleich zu Beginn wird zum Ende hin ungeschehen gemacht. Nicht einmal in dieser Hinsicht hat der Tod also irgendeine Bedeutung. Das ließ das Ende für mich zum Einen sehr vorhersehbar werden und zerstörte zum Anderen die ganze Stimmung für mich, weil es auf das überstrapazierte Klischee „Die Macht der Liebe besiegt alles Böse“ hinausläuft.

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Ori and the lange darüber nachgedachte Fazit

Pros

  • Tolle Grafik
  • Noch tollerer Soundtrack
  • Absolut herausragender Port
  • Spielmechaniken sind einwandfrei

Cons

  • Zu kurz
  • Viel zu leicht
  • Balancing der Fähigkeiten nicht ausgearbeitet

Ich habe jetzt ein paar Tage darüber nachgedacht. Will ich wirklich ein Miesepeter sein, der sich an Kleinigkeiten aufhängt? Will ich einen ganzen Absatz den sinnlosen Erfolgen des Spieles widmen?

Ja, das habe ich hiermit getan. Ein Erfolg dafür, dass man das Spiel beginnt. Was man bisher gemacht hat? Kurz hin und her gelaufen und wahrscheinlich geheult

Ori and the Blind Forest ist ein wirklich schönes und angenehmes Spiel. Es wirkt fast ein wenig zu unschuldig. Warum ich mich so über die nicht vorhandene Schwierigkeit aufrege? Weil ich einfach mit falschen Erwartungen an das Spiel herangegangen bin. Es ist auf so gut wie jeder Top Ten Metroidvania-Liste drauf, neben Titeln wie Hollow Knight, Celeste (das ich unbedingt noch spielen muss) und anderen Krachern, die halt alle irgendwie fordernder sind. Demnach kann man meine Enttäuschung darüber, dass das Spiel so kurz und leicht ist, auch so übersetzen, dass ich einfach viel lieber und viel intensiver Zeit im Wald von Nibel verbracht hätte. Nicht umsonst habe ich direkt nach dem Ende mit „Schwer“ begonnen – und höre nur vorzeitig auf, weil Trine 4 soeben fertig geladen wurde und ebenfalls auf Herz und Nieren getestet werden will.

Kurz gesagt, ich wünschte mir einfach mehr Spiel vom Spiel. Und das kann man nun wirklich nicht als schlechtes Zeichen werten. Es ist in meinen Augen aus verschiedenen oben genannten Gründen dennoch keine 9 oder gar eine 10 wert, aber es ist durchaus eine Kaufempfehlung für jeden, der auch nur geringes Interesse an Metroidvania oder an einem leichten Spiel für zwischendurch hat.

Über Roger Hogh 750 Artikel
Baujahr 1987, begann bereits als Zwerg mit einem Sega Master System II zu zocken, der einzigen Nicht-Nintendo-Konsole, die er je besessen hat. Begeisterter Fan von guten Metroidvanias und The Legend of Zelda. Überwiegend Einzelspieler, aber man findet ihn gerne mal bei einer Runde Smash Bros, natürlich als Link.

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