Der Diffi-Kult: Wie schwer darf es sein?

Der Diffi-Kult: Die Enthüllung

Uns wurde kürzlich eine hastig geschriebene Notiz zugeschickt, die äußerst bedrückend war. „Sie wissen, wie ihr spielt. Sie wissen, was ihr spielt. Sie wissen. Trefft mich im aufgebrochenen Bunker.“ Darunter standen Geocaching Koordinaten und die Unterschrift „Whistle Blower“.

Als seriöses Journalistenteam und passionierte Rollenspielveteranen machten wir uns sofort mit Schwert und Schild – also Stift und Notizblock – bewaffnet auf den Weg zum angegebenen Bunker.

Dort angekommen, huschte eine in schwarze Lumpen gehüllte Gestalt vor uns durch die Tür und die Gänge, gerade so schnell, dass wir sie jeweils um die Ecke biegen sahen. Sie führte uns in einen schwach mit Kerzen beleuchteten Raum, in dem nur ein Tisch und ein paar Stühle standen. Dort ließ sie sich erschöpft in einen Stuhl sinken und nahm ihre Kapuze ab. Um die Anonymität zu wahren, gehen wir nicht weiter auf die Personenbeschreibung ein. Man würde sie ohnehin nicht wiedererkennen, so durchschnittlich sah sie aus, wie jeder normale Bürger sonst auch. Ein Gesicht unter Milliarden.

„Meine Freunde,“ sagte die Person mit einer einladenden Geste, „Ich bin Whistle. Und ich möchte euch vom Diffi-Kult berichten, dem gefährlichsten Kult der Videospielwelt.“ Gespannt schrieben wir mit.

Der Diffi-Kult: Die Gründung

„Gegründet wurde der Diffi-Kult bereits während der Anfänge der Videospielzeit. Damals, als Spiele noch eine Herausforderung waren.“ Er lächelt leicht, als er sich offenbar an seine ersten zarten Berührungen mit Spielen zurückdachte. „Spiele waren damals von Natur aus schwer, da es ein komplett neues Interessengebiet war. Leveldesign, Lernkurven, Angriffsmuster etc. Alles steckte noch in den Kinderschuhen.“

„Heutzutage…“, er spuckte das Wort förmlich aus, „… wird einem echten Spieler ja selten noch etwas geboten. Wir leben in einer Zeit, in der sich jeder Candy-Crush-Spieler schon als Gamer bezeichnet. Casual Gamer beherrschen den Markt und wollen, dass jedes Fünkchen Anstrengung aus Spielen verschwindet. Maps sollen den Weg am besten mit großen Pfeilen markieren, Bosse sollten riesige sichtbare Schwachstellen haben und generell am besten keinen Widerstand leisten. Influencer-Püppchen, die kaum wissen, wie herum man einen Controller richtig hält, posen für ein paar Likes mit dem Ding in der Hand, nur um ihn dann dem ewigen Friendzone-Nerd hinter der Kamera sofort zurückzugeben.“ Er stockte kurz. Scheinbar sprach er hier aus Erfahrung.

„Wie dem auch sei“, fuhr er fort, „so durfte es natürlich nicht weitergehen. Also gründeten ein paar verzweifelte Spieler den Diffi-Kult. Ziel war es, Videospiele wieder zu einer Herausforderung zu machen. Eines der ersten Projekte war ein damals relativ unbekanntes Spiel namens „Demon’s Souls“. Darüber wurden die ersten Mitglieder rekrutiert.“

Der Aufschwung

Während ich fleißig mitschrieb, fragte mein Kollege: „Ich habe selbst die Dark Souls Teile gezockt. Was ist daran jetzt so gefährlich?“

„Dazu komme ich gleich. Aber das ist definitiv eine gute Frage. Die Souls Teile waren äußerst populär, beschränkten sich jedoch auf ein bestimmtes Genre. Doch unsere Mitgliederzahl wuchs steil an, sodass wir bald willige Personen auf allen Geschäftsebenen sitzen hatten, hauptsächlich aus dem Indie-Bereich. Dieser wird heutzutage zu 80% von Kultisten geführt. Von unverschämt schweren Jump’n’Runs wie Super Meat Boy, über Topdown-Shooter wie The Binding of Isaac oder Metroidvania wie Hollow Knight, es ist für jeden Geschmack etwas dabei.“ Aus einem Spalt in einer Ecke des Raumes huschte eine Ratte quer durch das Zimmer. Whistle erschrak.

„Das ist ja alles schön und gut. Mir ist selbst aufgefallen, dass heutige Spiele immer häufiger auch einen extra schweren Modus oder zumindest einen optionalen Boss oder Dungeon beinhalten, die so weit über dem Rest des Spiels stehen, dass nur Profis oder geduldige Spieler sie je schaffen. Was ist daran so schlimm?“, fragte mein Kollege erneut.

Die Spalter

„Das Schlimme daran ist, dass dadurch eine neue Evolution an Menschen herangezüchtet wird. Es reicht den Diffi-Kultisten nicht mehr, einfach nur eine Herausforderung zu haben. Sie wünschen sich immer schwerere Modi, immer härtere Bosse. Ihre Reflexe, ihre Augen-Hand-Koordination, ihr Gedächtnis, ihre Fingerfertigkeit und ihre Fähigkeit, lösungsorientiert zu arbeiten steigern sich weit über das Maß von herkömmlichen Menschen hinaus. Das ist Forschung an Menschen! Das ist nicht gesund. Menschen sollten so etwas nicht können!“, sagte Whistle mit leichter Furcht in der Stimme. „Ich selbst kann mich kaum noch mit anderen Menschen und ihren mickrigen, simplen, alltäglichen Problemen identifizieren. Auch in unserem Kult gab es zwischenzeitlich Differenzen. Wir waren einigen Leuten immer noch zu lasch. Deshalb spaltete sich dieser Haufen Separatisten ab und wurde zu dem, was heute die Speedrunner sind. Das sind keine Menschen mehr. Sie arbeiten wie Maschinen. Sie sind in der Lage, framegenaue Eingaben kontrolliert und wiederholt zu tätigen. Sie finden jeden noch so kleinen Glitch, jede noch so kleine Möglichkeit, das Spiel zu überlisten. Es ist, als würden sie die Welt in Code sehen wie dieser Matrix-Typ.“ Whistle redete immer hektischer. „Eine gewisse Herausforderung in allen Ehren, aber die Diffi-Kultisten reizen ihre Grenzen immer weiter aus. Und jetzt kommt’s: Sie planen etwas riesiges! Das wird die ganze Welt beeinflussen! Sie wollen in wenigen Wochen…“

Die Enthüllung

Mein Kollege fuhr ihm herrisch dazwischen: „Das reicht jetzt, Whistle!“ Whistle stockte mitten im Satz. Ich blicke von meinen Notizen auf. Mein sonst so freundlicher Mitarbeiter funkelte ihn mit bösem Blick an. Dann klatschte er dreimal langsam in die Hände. Whistles Augen weiteten sich vor Panik. „Du… Du bist…“, stammelte er. Der Kollege lächelte herablassend, während zwei große, in schwarze Mäntel gehüllte und mit Kapuzen verhüllte Gestalten den Raum betraten. „Ganz genau! Glaubst du ernsthaft, wir würden unsere Mitglieder nicht überwachen? Speziell so labile Kreaturen wie dich? Sei nicht albern. Uns passieren solche Fehler nicht. Wie du gerade selbst gesagt hast – wir haben eine ganz neue Fähigkeit, nach Lösungen für Probleme zu schauen. Deine Zweifel sind uns sofort aufgefallen.“ Er schnippte mit den Fingern und die beiden Gestalten zogen einen schreienden, sich windenden Whistle aus dem Raum.

Ich war kreidebleich. „Wirst Du ihn…“ „Umbringen? Quatsch! Ich werde ihn so lange mit Easy-Mode Spielen foltern, bis er sich vor Langeweile selbst den Controller durch den Hals stechen möchte. Dann wird er schon erkennen, welches höhere Ziel wir mit unserer Mission haben.“, sagte er fast beiläufig. „Und das wäre?“, fragte ich vorsichtig.

„Wir wissen, dass das menschliche Potential viel größer ist, als es ihm üblicherweise zugedacht wird. Wir wollen Casual-Gamer überhaupt nicht davon abhalten, sich mit ihren einfältigen Spielchen zu vergnügen. Aber wir wollen den Menschen Spiel für Spiel die Möglichkeit geben, sich an einer Herausforderung zu messen, ein Stück weit über sich selbst hinauszuwachsen. Ich sehe es dir an… Du weißt, wovon ich spreche.“ Er lächelte, während er mich beobachtete. Und er hatte Recht. Mir gingen meine eigenen Erfahrungen durch den Kopf. Angefangen mit Hollow Knight hatte ich Blut geleckt. Statt das Spiel frustriert beim ersten Boss in die Ecke zu werfen, versuchte ich mich immer und immer wieder daran. Ich war wie gebannt und der befreiende Kick nach einem besiegten Boss, an dem ich Stunden gesessen hatte, fühlte sich so belebend an… Aktuell saß ich an Dark Devotion und verspürte wieder dieses Kribbeln, diesen Nervenkitzel, einen Boss zum 25. Mal bis auf die letzten paar Lebenspunkte zu verletzen, nur um dann doch durch einen dummen Fehler zu sterben. Aber meine Geduld wuchs. Mein Puls blieb ruhig. Statt Adrenalin zu pumpen, wurde ich nur fokussierter.

Was könnte daran falsch sein?

Zufrieden stand er auf: „Schreib das hier ruhig nieder. Soll ruhig jeder Wissen, was wir vorhaben. Wir sind davon überzeugt, dass es viel mehr Leute gibt, die sich eine herausfordernde Abwechslung zu ihrem langweiligen und monotonen Alltag wünschen. In jedem von uns steckt so viel Potential. Diese Fähigkeiten lassen sich prima auf diesen tristen Alltag anwenden. Wenn das für irgendjemanden gefährlich klingt – gut, dann sind wir eben gefährlich. Ich sehe uns als nächsten Schritt zu einer besseren Welt an.“ Verdutzt ließ er mich sitzen.

Whistle geht es übrigens gut. Er hat die Folter zwei ganze Tage durchgehalten. Er ist jetzt… nun, sagen wir, er ist jetzt ein fanatischer Diffi-Kultist. Woher ich das weiß?

Das könnte ich euch verraten, aber die Konsequenzen würden euch nicht gefallen.

Über Roger Hogh 750 Artikel
Baujahr 1987, begann bereits als Zwerg mit einem Sega Master System II zu zocken, der einzigen Nicht-Nintendo-Konsole, die er je besessen hat. Begeisterter Fan von guten Metroidvanias und The Legend of Zelda. Überwiegend Einzelspieler, aber man findet ihn gerne mal bei einer Runde Smash Bros, natürlich als Link.

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